EU-Kommission stellt Industrie-Vorschläge vor
Die EU-Kommission will Europas Industrie fit für eine klimaneutrale Zukunft machen. Bislang hatte sich die EU auf funktionierende Lieferketten in Drittstaaten verlassen. Doch das kann schief gehen.
Das Wichtigste in Kürze
- Weniger Bürokratie für bestimmte Industriezweige und mehr Unabhängigkeit bei wichtigen Rohstoffen: Die EU-Kommission präsentiert gleich zwei grosse Vorhaben für eine leistungsstarke und umweltfreundliche EU-Wirtschaft.
Mit dem Europäischen Gesetz über kritische Rohstoffe werden einem Entwurf zufolge, der der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel vorliegt, unter anderem Vorgaben für Produktionsziele gemacht. So sollen mindestens zehn Prozent des Jahresverbrauchs von bestimmten Erzen, Mineralien oder Konzentraten in der EU abgebaut werden können.
Bisher ist die EU bei wichtigen Rohstoffen abhängig von Drittstaaten. So kommen Kommissionsangaben von 2020 zufolge 78 Prozent des für die Batterieproduktion wichtigen Lithiums aus Chile. Aber auch aus anderen Ländern wie China und der Türkei stammen viele Rohstoffe, die für die EU-Wirtschaft von grosser Bedeutung sind. Diese Rohstoffe brauche man etwa für Handys und Elektrofahrzeuge, Computerchips, Batterien, Solarpaneele und Windturbinen, betonte Kommissionschefin Ursula von der Leyen zuletzt.
«Der Ast, auf dem wir in Europa bisher sassen, war zu dünn»
Ihr Kollege, der EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton hatte jüngst gesagt, zahlreiche Industrievertreter machten sich Sorgen um die Sicherheit der Rohstoffversorgung. Unter anderem die Corona-Pandemie hatte gezeigt, wie abhängig die EU von funktionierenden Lieferketten etwa nach Asien ist. So hatte etwa der Corona-Lockdown in Shanghai im vergangenen Frühjahr Lieferketten weltweit empfindlich gestört und Lieferungen deutlich verzögert.
Im Europaparlament wird das Vorhaben der Kommission grundsätzlich begrüsst. «Der Ast, auf dem wir in Europa bisher sassen, war zu dünn», sagt etwa die CDU-Abgeordnete Hildegard Bentele. Die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses, Anna Cavazzini (Grüne), betont: «Die Reduzierung des Verbrauchs von kritischen Rohstoffen muss vorne anstehen, danach folgen Recycling und am Ende erst der Abbau.»
Für die Zukunft befürchtet die EU-Kommission aber nicht nur Abhängigkeiten bei der Rohstoffversorgung. «Systemrivalen versuchen, unsere Industriekapazitäten an sich zu ziehen und damit unsere Abhängigkeiten von morgen zu schaffen», sagte Breton mit Blick auf China. Im Bereich Elektroautos sehe er etwa ein reales Risiko, Nettoimporteur zu werden – also mehr Autos zu importieren als zu exportieren. «Vergangenes Jahr hat China Deutschland überholt und ist zum zweitgrössten Autoexporteur der Welt geworden», so der EU-Kommissar.
«Wir müssen hier jetzt überall Gas geben, um das Klima zu schützen»
Um diesem und anderen Abhängigkeitsrisiken zu begegnen, sollen mit dem zweiten Gesetzesvorschlag unter anderem Genehmigungsverfahren für strategisch wichtige Wertschöpfungsketten erleichtert werden. Zudem sieht der Vorschlag vor, Beihilferegeln zu vereinfachen und die Verwendung von EU-Mitteln zu flexibilisieren. «Kurz gesagt, das Netto-Null-Industrie-Gesetz sorgt für Tempo, Vereinfachung und es stellt Fördergelder bereit», sagte von der Leyen. Welche Industrien genau von Sonderregeln profitieren sollen, wurde bis zuletzt diskutiert. Der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese begrüsst den Vorstoss. «Wir müssen hier jetzt überall Gas geben, um das Klima zu schützen und von Russland unabhängig zu werden», sagte er.
Der Vorschlag zum Netto-Null-Industrie-Gesetz war auch innerhalb der EU-Kommission intensiv diskutiert worden. Durchgesickerte Entwürfe des Vorhabens hatten Autoren der Denkfabrik Bruegel als äusserst besorgniserregend bezeichnet. Die politischen Ziele seien unverhohlen protektionistisch. Wie stark sich der endgültige Vorschlag von bekannten Entwürfen unterscheidet, ist noch unklar. Von der Leyen wies die Kritik zurück. «Es gibt keinen einzigen Punkt, der protektionistisch ist», sagte sie der Deutschen Presse-Agentur und anderen Agenturen in einem Interview des European Newsroom.