Europawahl 2024: CDU/CSU gewinnt in Deutschland – AfD Nummer zwei
In Deutschland liegen CDU/CSU nach Hochrechnungen mit grossem Abstand vorn. «Die Ampel ist de facto abgewählt worden», so Markus Söder.
CDU und CSU haben die Europawahl in Deutschland mit grossem Abstand gewonnen. Die rechtspopulistische AfD legt nach Hochrechnungen von ARD und ZDF stark zu und erreicht Platz zwei – erst dahinter folgt die SPD.
Die Grünen liegen mit heftigen Verlusten auf dem vierten Platz. Die FDP verliert leicht, während die Linke stark absackt – und von der neuen Partei BSW von Sahra Wagenknecht überholt wird. Es ist ein Dämpfer für die «Ampel»-Koalition. Ein gutes Jahr vor den nächsten Bundestagswahl kommt das Bündnis von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf nicht einmal ein Drittel der Stimmen.
Den Hochrechnungen vom Sonntagabend zufolge steigert sich die CDU/CSU leicht auf 30 Prozent (2019: 28,9). Die AfD erreicht mit 16,2 bis 16,4 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis bei einer deutschlandweiten Abstimmung (2019: 11) – es fällt allerdings niedriger aus als zwischenzeitliche Umfragewerte.
Scholz' SPD sackt ab auf 13,9 bis 14 Prozent (15,8) – es ist ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl überhaupt. Die Grünen fallen auf 12 bis 12,2 Prozent (20,5). Nur leicht verliert die FDP, die auf 4,8 bis 4,9 Prozent (5,4) kommt.
Die Linke landet bei mageren 2,7 bis 2,8 Prozent (5,5) – ihr schlechtestes Ergebnis bei Europawahlen. Die linkspopulistische Partei BSW – eine Abspaltung der Linken – erreicht aus dem Stand 5,7 bis 6,1 Prozent. Die Partei Volt liegt bei 2,6 bis 3 Prozent.
Bei der Europawahl in Deutschland gilt anders als bei Bundestags- und Landtagswahlen keine Sperrklausel, also etwa eine Fünf-Prozent-Hürde. Die Wahlbeteiligung liegt laut Hochrechnungen bei 65 Prozent. 2019 waren es 61,4 Prozent, damals lag Deutschland auf Platz 5 im Vergleich der 27 EU-Staaten. Erstmals durften in Deutschland bei einer Europawahl auch 16- und 17-Jährige abstimmen.
Söder: Ampel de facto abgewählt
SPD-Chef Lars Klingbeil bezeichnete das Wahlergebnis als «bittere Niederlage». «Es gibt nichts schönzureden», sagte er in der Berliner SPD-Zentrale. Man werde nun aufarbeiten, wie es zu diesem Ergebnis habe kommen können. «Dass Dinge anders werden müssen, ist – glaube ich -
CDU-Chef Friedrich Merz forderte die Bundesregierung auf, schon in den nächsten Tagen ihren Kurs zu korrigieren. Das sei im Interesse des Landes dringend notwendig. Der Wahlabend sei für die Ampel vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr nun «die wirklich letzte Warnung». Die Koalition von SPD, Grünen und FDP schade Deutschland. Das gelte für die Innenpolitik, beispielsweise mit den Entscheidungen zu Migrationsfragen, aber auch für die Wirtschaftspolitik. CSU-Chef Markus Söder sagte: «Die Ampel ist de facto von den Bürgerinnen und Bürgern abgewählt worden.»
AfD-Chef Tino Chrupalla nannte das Ergebnis seiner Partei «historisch». «Ich höre, wir sind im Osten bei dieser Wahl jetzt stärkste Kraft, mehr Rückenwind gibt's ja nicht», sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September.
Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang reagierte enttäuscht auf die Stimmenverluste ihrer Partei. «Das ist nicht der Anspruch, mit dem wir in diese Wahl gegangen sind, und wir werden das gemeinsam aufarbeiten», sagte die Co-Parteichefin in der ARD.
BSW-Parteigründerin Wagenknecht äusserte sich froh und erleichtert über das Abschneiden ihres Bündnisses. Es gebe «ein grosses Potenzial», das sie bei folgenden Wahlen ausbauen wolle. Wagenknecht bekräftigte, dass sie eine diplomatische Initiative im Krieg Russlands gegen die Ukraine für nötig halte. «Viele Menschen machen sich Sorgen, dass der Krieg auch zu uns kommt.»
Plus für rechte Parteien erwartet
In vielen EU-Staaten war mit einem deutlichen Plus für rechte Parteien gerechnet worden. So hatten Umfragen vor der Wahl die AfD zwischenzeitlich bei mehr als 20 Prozent gesehen. Vorwürfe gegen ihren Spitzenkandidaten Maximilian Krah und die Nummer zwei auf der Europawahl-Liste, Petr Bystron, brachten die Partei aber in Schwierigkeiten. Beide gerieten wegen möglicher Verbindungen zu prorussischen Netzwerken in die Schlagzeilen, im Fall Krah geht es zudem um mögliche China-Verbindungen.
Gegen Bystron wird wegen des Anfangsverdachts der Bestechlichkeit und der Geldwäsche ermittelt. Krah, seit 2019 Europaabgeordneter, erntete zuletzt ausserdem massive Kritik für verharmlosende Äusserungen über die SS, die sogenannte Schutzstaffel der Nationalsozialisten. Der Bundesvorstand der AfD forderte Krah daraufhin dazu auf, im Wahlkampf nicht mehr öffentlich aufzutreten. Die rechte Fraktion ID (Identität und Demokratie) im Europaparlament schloss als Konsequenz alle deutschen AfD-Abgeordneten aus.
In den 27 EU-Staaten waren rund 360 Millionen Bürger wahlberechtigt, davon knapp 61 Millionen Deutsche. Gewählt wurden von Donnerstag bis Sonntag – je nach Land – 720 Abgeordnete für das neue Europäische Parlament, davon am letzten Tag 96 in Deutschland. Abgesehen von der Parlamentswahl in Indien ist es die grösste demokratische Abstimmung weltweit – und die einzige Direktwahl über Staatsgrenzen hinweg.
Krisenreiche Jahre seit der Europawahl 2019
In den fünf Jahren seit der letzten Europawahl 2019 haben einschneidende Krisen die EU in Atem gehalten: eine Pandemie mit Zehntausenden Toten und anschliessender Wirtschaftskrise, der russische Überfall auf die Ukraine mit folgender Energiekrise, eine wieder starke Migration nach Europa sowie zuletzt der Gaza-Krieg und Wetterkatastrophen wie Dürren und Überschwemmungen infolge der verschärften Klimakrise.
Kommissionspräsidentin von der Leyen strebt zweite Amtszeit an
Nach der Wahl schliessen sich die meisten Abgeordneten einer der Fraktionen im EU-Parlament an, also der christdemokratischen EVP, den Sozialdemokraten, den Liberalen, Linken, Grünen oder einer der beiden rechtsgerichteten Gruppen.
Eine der ersten Aufgaben des neuen Parlaments ist die Bestätigung der neuen EU-Kommission, der Exekutive der Union. Die bisherige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, eine deutsche Christdemokratin, strebt eine zweite Amtszeit an. Die frühere deutsche Verteidigungsministerin bewarb sich im Gegensatz zu den anderen Kandidaten nicht um einen Sitz im Europäischen Parlament.
Parallel zur Europawahl wurde in Deutschland in acht Bundesländern auch auf kommunaler Ebene gewählt: in Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt. In Thüringen wurde zudem in Stichwahlen über zahlreiche Landräte und Oberbürgermeister entschieden.