Warnungen vor schnellem Ende der Maskenpflicht
Soll die Maskenpflicht jetzt schon fallen, drinnen wie draussen? Gesundheitsminister Spahn ist für ein stufenweises Vorgehen, andere Politiker fordern die komplette Abschaffung. Experten sind skeptisch.
Das Wichtigste in Kürze
- Trotz sinkender Infektionszahlen wollen Politik und Wirtschaft vorerst überwiegend an der Maskenpflicht als Corona-Schutz festhalten.
Lockerungen im Freien rücken aber zusehends in den Blick.
Die Bundesregierung mahnte auch angesichts neuer Virusvarianten zur Vorsicht vor allem in Innenräumen. «Wir haben alle mehr davon, wenn wir uns noch ein wenig disziplinieren», sagte Vize-Sprecherin Martina Fietz in Berlin. Auch von Ländern, Kommunen und dem Handel kamen Warnungen vor zu raschen Lockerungen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) befürwortete ein Ende der Maskenpflicht draussen als ersten Schritt. Aus der Opposition kamen gegensätzliche Forderungen. Auch Wissenschaftler meldeten sich mahnend zu Wort.
Spahn sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: «Bei den fallenden Inzidenzen sollten wir gestuft vorgehen: In einem ersten Schritt kann die Maskenpflicht draussen grundsätzlich entfallen.» Dies beziehe sich schon «auf den aktuellen Zustand» der Pandemie, erklärte ein Ministeriumssprecher auf Nachfrage. Für Open-Air-Konzerte und andere Zusammenkünfte müssten regionale Hygienekonzepte gelten. Der Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, sagte der «Rheinischen Post»: «In Aussenbereichen kann eine Maskenpflicht eigentlich sofort wegfallen.»
Der Handelsverband Deutschland reagierte zurückhaltend auf Rufe nach einem Ende der Maskenpflicht. «Wir müssen jetzt alles vermeiden, was die erfolgreiche Bekämpfung der Pandemie gefährdet und möglicherweise in einen nächsten Lockdown führt.» Kunden und Händler hätten sich an die Maskenpflicht gewöhnt. Sie sollte erst abgeschafft werden, wenn Experten aus Medizin und Politik es für verantwortbar halten.
Der Verband der Verkehrsunternehmen erklärte, wenn sich der Trend der deutlich abschwächenden Pandemie bestätigen sollte, wolle man sich mit der Politik über eine schrittweise Rücknahme der Maskenpflicht in Bussen und Bahnen austauschen. Eine Idee wie in Dänemark, zwischen stehenden und sitzenden Fahrgästen im Öffentlichen Nahverkehr zu unterschieden, sei allerdings in der Umsetzung nicht praktikabel.
Der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Es ist zwar richtig, dass Masken eine Belastung für die Betroffenen sind, sowohl für Lehrkräfte als auch für Schüler. Aber in der Gesamtabwägung warnen wir vor einer vorschnellen Abschaffung.» Es gebe erhöhte Infektionszahlen bei Kindern und Jugendlichen, die bisher kaum geimpft seien. Auch rund 50 Prozent aller Lehrkräfte hätten noch keinen vollen Impfschutz.
Aus Sicht des Deutschen Städte- und Gemeindebunds muss das Ende der Maskenpflicht «der letzte Schritt» bei Lockerungsmassnahmen sein. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg sagte dem «Handelsblatt»: «In Innenräumen, beim Einkaufen und in öffentlichen Verkehrsmitteln sollte die Maskenpflicht aber zunächst einmal bestehen bleiben.»
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte am Wochenende darauf verwiesen, dass die Länder laufend prüfen müssten, ob und wo die Maskenpflicht noch verhältnismässig ist. Sie ist in Verordnungen der Länder geregelt. Für draussen gibt es zum Beispiel Vorgaben für belebte Plätze und Einkaufsstrassen, teils auch für Spielplätze.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, er rate zur Zurückhaltung. Die Maske sei neben der Impfung eines der wenigen wirksamen Instrumente gegen Corona. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte in der ARD: «Draussen denke ich schon, dass wir uns jetzt doch sehr schnell mehr zutrauen können.» Bei sinkenden Infektionszahlen und steigender Impfquote erwarteten viele, dass die FFP2-Maskenpflicht zurückgenommen oder in Aussenbereichen aufgegeben werde. Müller warnte jedoch, es sei beim Reisen, im öffentlichen Nahverkehr und in geschlossenen Räumen weiter Vorsicht angebracht.
Mehrere Landeskabinette wollen über Änderungen beraten. So soll es in Sachsen-Anhalt um einen Vorschlag gehen, die ab Klasse 7 geltende Maskenpflicht im Unterricht abzuschaffen. Mecklenburg-Vorpommerns Gesundheitsminister Harry Glawe (CDU) sagte: «Bei weiter so sinkenden Inzidenzen wäre die Abschaffung der Maskenpflicht im Freien denkbar.» Der Hamburger Senat will ebenfalls beraten. Denkbar sei etwa, die Maskenpflicht im öffentlichen Raum anzupassen und in einem weiteren Schritt die Notwendigkeit von FFP2-Masken abzuschaffen, hiess es.
Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow nannte es «völlig falsch», jetzt über eine generelle Aufhebung der Maskenpflicht zu debattieren. Es sei «dringend notwendig, dass wir überall dort, wo viele Menschen aufeinandertreffen, sei es beim Einkaufen, beim Zugfahren, sei es möglicherweise auch in den Schulen, weiter auf Maskenpflicht setzen.» Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sagte der «Rheinischen Post», wo Ungeimpfte im Innenbereich ohne nötigen Abstand aufeinandertreffen, sollten Masken getragen werden. «Ausgenommen werden können das eigene Fahrzeug und die eigene Wohnung, denn auch dort gilt in einigen Bundesländern Maskenpflicht.»
FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus forderte einen Fahrplan für einen Ausstieg aus der Maskenpflicht. «An der frischen Luft ist eine Übertragung des Virus quasi ausgeschlossen.» Bis eine Impfquote von 75 bis 80 Prozent erreicht sei, könne die Maskenpflicht etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln aber noch nötig sein. AfD-Fraktionsvize Sebastian Münzenmaier forderte in der «Welt», die Maskenpflicht müsse deutschlandweit aufgehoben werden.
Nach Ansicht von Wissenschaftlern könnte eine generelle Aufhebung der Maskenpflicht dagegen ein Wiederaufflammen der Pandemie nach sich ziehen. «Wenn wir nach dem Wegfall der Testpflicht in vielen Situation nun auch noch die Maskenpflicht fallen lassen, sind wir im Grunde in einem ungestörten Leben wie vor der Pandemie», sagte Eberhard Bodenschatz vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. Das Virus aber sei noch da und wesentlich infektiöser durch Mutationen. «Warum soll die Pandemie dann nicht wiederkommen?».
Laut Aerosolforscher Christof Asbach geht es in Innenräumen letztlich um die Frage, welches Risiko man akzeptieren möchte. «Die Wahrscheinlichkeit in Innenräumen auf einen Infizierten zu treffen, bleibt mit und ohne Maskenpflicht gleich», sagte der Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung der dpa. «Das Risiko, sich anzustecken, ist ohne Maske natürlich höher.» Er plädiere auch an die Vernunft der Menschen, sich unabhängig von Vorgaben in kritischen Situationen zu schützen.