«Furie und Feuer»: Kataloniens Separatisten werden radikaler
Die Forderung nach einer Unabhängigkeit Kataloniens bewegt seit Jahren die Gemüter. Jetzt ist die Abspaltungsbewegung wieder in aller Munde - denn wegen der Justizurteile gegen ihre Anführer sind viele in der Region richtig in Rage. Ein Streifzug durch Barcelona.
Das Wichtigste in Kürze
- Die frischgebackene Mutter Nuria wird ganz emotional und hat Tränen in den Augen, als sie über das Selbstbestimmungsrecht der Katalanen spricht.
Auch die jungen Freundinnen Lorena und Chiqui reden sich beim Thema Abspaltung von Spanien in Rage, ebenso wie Josep, der ihr Opa sein könnte. Egal ob alt oder jung: Vor einer neuen Demo in Barcelona sind sich diese so verschiedenen Menschen alle einig: «Wir gehen so lange auf die Strassen, bis man uns zuhört.» Die bereits seit fünf Tagen anhaltende und sich stündlich weiter zuspitzende Protestwelle der Separatisten in der aufmüpfigen Region wird wohl so schnell nicht abebben.
Barcelona am Freitagnachmittag: Viele für den Autoverkehr gesperrte Strassen, überall Polizeiwagen, bewaffnete Beamte. Abgebrannte Müllcontainer und Autos, halb zerschmolzene Ampeln und viel Schmutz sind Zeugnisse der letzten Krawallnacht - auch wenn die katalanische Müllabfuhr erstaunlich schnell arbeitet.
Viele Läden sind wegen eines eintägigen Generalstreiks geschlossen. Im zentralen Stadtviertel Eixample, wo die Motoren sonst 24/7 brummen, sind nur wenige Autos unterwegs. «So ruhig bin ich nie über die Strasse gegangen», erzählt die Rentnerin Bella.
Eines der Wahrzeichen der Mittelmeer-Metropole, das weltberühmte Gotteshaus Sagrada Familia, muss unter dem Druck von Hunderten Protestlern dichtmachen. Zum Ärger von vielen Besuchern, die online teure Karten gekauft haben und sich das Antoni-Gaudí-Bauwerk nun von draussen ansehen müssen.
Unweit der Basilika treffen unterdessen rund 30.000 Separatisten, die sich am Mittwoch aus fünf verschiedenen Städten im Innern Kataloniens auf den Weg in Richtung ihrer Regionalhauptstadt gemacht hatten, zu einer Grosskundgebung ein.
Neben staunenden Touristen schlendern derweil unzählige Anhänger der Separatisten-Bewegung an der Prachtavenue Passeig de Gracia entlang und bereiten sich auf eine neue Demo vor. Viele haben sich die Estelada umgehängt, die rot-gelbe Unabhängigkeitsflagge mit dem weissen Stern auf blauem Dreieck. Gleichzeitig bemühen sich Hausmeister, Angestellte von Luxusläden und Strassenfeger immer noch, die Spuren des Vorabends zu beseitigen.
Überall an Schaufenstern, Wänden und Hauseingängen sieht man noch Graffiti mit Aufschriften wie «Freiheit oder Chaos» oder «Unabhängigkeit». «Ich will für meinen kleinen Sohn, der erst vier Monate alt ist, eine bessere Zukunft ohne Unterdrückung», sagt die 25-jährige Nuria. «Wir sind Katalanen, deshalb kämpfe ich.»
Auch «Scheiss-Polizei» ist in grossen Sprühbuchstaben zu lesen, und: «Die Revolution des Lächelns ist vorbei». Mit diesem Slogan hatte sich die bisher friedliche Bewegung selbst gefeiert. Der Ton wird rauer. Die Proteste werden immer gewalttätiger - Auslöser waren die Haftstrafen von bis zu 13 Jahren für neun Separatistenführer wegen ihrer Rolle beim illegalen Abspaltungsreferendum vom Oktober 2017. «Furie und Feuer», titelt die konservative Madrider Zeitung «ABC», die am Freitag warnend feststellt: «Die Separatisten haben immer weniger Angst davor, den Staat herauszufordern.»
Lorena verurteilt die Gewalt, die Barcelona und andere Städte der Region im Nordosten Spaniens seit Tagen spät abends und so heftig wie selten zuvor erschüttert. «Das ist nur eine kleine Minderheit«, versichert das junge Mädchen im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur, während ihre Freundin Chiqui nickend zustimmt. Lorena räumt aber auch ein, das Volk habe es satt, auf taube Ohren zu stossen. «Spanien ist eine Diktatur!», schimpft sie.
Auch Josep beteuert: «Die Unabhängigkeitsbewegung ist nicht gewalttätig!» Ist er denn optimistisch, dass die Proteste etwas bringen? «Von der Zentralregierung, egal welcher Couleur, erwarten wir nichts. Die Europäische Union hat den Schlüssel zur Lösung des Konflikts. Wenn sie nichts tut, wird er weiter eskalieren», sagt der grau melierte Katalane und schwenkt eine riesige Estelada.