«Ich dachte, heute wäre der Tag, an dem ich sterben würde»

Simon Binz
Simon Binz

Schweden,

Nach dem Amoklauf an einer Schule für Erwachsene in Schweden berichten Überlebende in grossem Detail von ihren erschütternden Erlebnissen.

Schweden Amoklauf
Der Polizeichef von Öbrero, Roberto Eid Forest, zeigte sich bei einer Pressekonferenz am frühen Dienstagabend erschüttert über den Amoklauf in seiner Region. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Am Dienstag hat ein Mann den schlimmsten Amoklauf Schwedens verübt.
  • Insgesamt starben elf Menschen - darunter ist auch der 35-jährige Täter.
  • Überlebende berichten in grossem Detail von ihren erschütternden Erlebnissen.

Schweden steht unter Schock: Ein 35-jähriger Mann steht unter Verdacht, den möglicherweise schlimmsten Massenmord in der Geschichte des Landes begangen zu haben. Bei der Schiesserei an einer Einrichtung für Erwachsenenbildung in Örebro kamen laut Angaben der Polizei elf Menschen ums Leben. Auch der Täter ist unter den Toten.

Eine genaue Zahl der Verletzten konnte bis am Dienstagabend nicht vermeldet werden. Die Anzahl der Opfer könnte sich daher noch erhöhen, sagte Polizeisprecher Gabriel Henning gegenüber den Medien. Zuvor berichteten verschiedene Zeitungen von mindestens sechs Verletzten.

Schweden Amoklauf
Ermittler untersuchen den Tatort in Stockholm, nachdem ein 35-jähriger Mann einen Amoklauf in einer Einrichtung für Erwachsenenbildung verübte. - Keystone

Der Mann war laut der Polizei nicht vorbestraft und auch nicht polizeibekannt. Ein ideologisches Motiv wird ausgeschlossen. Warum der mutmassliche Täter den Amoklauf verübte, ist aber unklar. Die Ermittlungen dauern an.

Lokale Medien berichten, dass es sich beim mutmasslichen Täter um einen Einzelgänger handelte. Angehörige zeichnen das Bild eines Einsiedlers, der sich von Familie und Freunden zurückgezogen habe.

Während der Schütze ruhig durch die Schule geht...

«Aftonbladet» hat mit Überlebenden des Attentats auf dem Campus Risbergska gesprochen. Sie berichten in Detail von den erschütternden Erlebnissen. So erzählt etwa Marwa (33), dass sie kurz nach halb zwei am Dienstagnachmittag mit ihren Klassenkameraden zum Mittagessen gehen wollte.

Doch plötzlich hörte sie Leute im Flur vorbeirennen. «Ich öffne die Tür unseres Klassenzimmers und sehe, dass die Leute, die rennen, Angst haben. Sofort schreie ich zu meinen Kameraden, dass sie rausgehen sollen.»

Amoklauf Schweden
Marwa schildert gegenüber «Aftonbladet» ihre Erlebnisse des Amoklaufs an der Schule in Schweden. - Screenshot/aftonbladet.se

Nun hören auch Marwa und ihre Freunde die schnellen Schüsse. Marwa, die vor neun Jahren aus dem kriegszerrütteten Syrien kam, hat die Geräusche schon einmal gehört. In der Schule bricht nun regelrecht Panik aus. Menschen rennen durch die Flure, während der Schütze scheinbar ruhig durch die Schule geht und schiesst.

Marwa sieht mehrere Menschen fallen

Ein Student sieht den dunkel gekleideten Amokläufer und beschreibt, wie dieser mit zwei Langwaffen bewaffnet war. Eine auf dem Rücken und eine in den Händen. Marwa und ihre Freunde rennen zum Ausgang, doch einige sind schon älter, können sich nur schwer schnell bewegen. Ein Mann hilft ihnen.

Dann kommen die Schüsse näher und Marwa sieht mehrere Menschen fallen. Ein Schuss geht durch eine Glasscheibe neben ihr. Ein anderer in die Schulter des Mannes, der den Leuten bei der Flucht hilft.

Amoklauf Schweden
Bei dem Amoklauf starben laut den Angaben der Behörden elf Menschen - auch der Täter selbst ist unter den Toten. - Keystone

Marwa, die gerade ihre Ausbildung zur Krankenschwester abgeschlossen hat, reagiert geistesgegenwärtig. Sie weiss nicht, wo der Schütze ist, aber als viele andere zum Ausgang eilen, versucht sie dem Schussverletzten zu helfen.

«Eine Freundin hatte einen Schal, den ich auf die Wunde gedrückt habe. Ich habe daran gedacht, den Arm hochzuhalten, damit nicht zu viel Blut fliesst.» Doch er sei immer blasser geworden und habe schliesslich kaum noch reagiert.

«Ich dachte, heute würde ich sterben»

Hellen (34) macht auf dem Campus Risbergska eine Ausbildung zur Krankenschwester. Sie will gerade das Einführen eines Katheters üben, als sie einen Knall hört. «Zuerst dachten wir, es sei etwas auf den Boden gefallen, aber dann gab es weitere Knalle. Einer nach dem anderen – und dann wurde uns klar, dass es Schüsse sind.»

Die Lehrerin von Hellen fordert sie und ihre Klassenkameraden auf, die Tür abzuschliessen. Sie sollen das Licht ausmachen und sich auf den Boden legen, heisst es. Die jungen Menschen drängen sich unter den vorhandenen Tischen zusammen.

Amoklauf Schweden
Als die Polizei eintraf, fanden sie auf dem Schulgelände Tote und Verletzte vor. Zunächst gab der Täter noch Schüsse auf die Beamten ab, danach richtete er die Waffe auf sich selbst. - Keystone

Mehrere Stunden bleiben die Schülerinnen und Schüler still unter den Tischen liegen. Sie hören den Schützen vorbeigehen, manchmal hören sie in der Ferne Schreie. Sich öffnende Türen – und dann wieder Schüsse.

«Ich dachte, heute ist der Tag, an dem ich sterben werde. Ich dachte an meine beiden Kinder und daran, dass ich sie vielleicht nie wiedersehen würde», sagt Hellen.

«Ich hoffe wirklich, dass er noch lebt»

Als die erste Polizeistreife an der Schule eintrifft, bietet sich ihnen ein schrecklicher Anblick. Auf dem Schulgelände liegen Tote und Verletzte. Der Täter ist zu diesem Zeitpunkt laut Informationen von «Aftonbladet» noch am Leben und schiesst zunächst auf die Polizisten. Danach richtet er die Waffe schliesslich gegen sich selbst.

Marwa befindet sich noch immer im Gang der Einrichtung und drückt den blutigen Schal gegen die Schulter des angeschossenen Jungen. Endlich erreichen die Polizisten ihren Teil des Campus. Sie hilft den Beamten, ihn zu einem Polizeiauto zu tragen, damit er ins Spital gefahren werden kann.

Amoklauf Schweden
Der Amoklauf am Dienstag ist der schlimmste in der Geschichte Schwedens. - Keystone

«Ich weiss nicht, wie es ihm geht. Ich hoffe wirklich, dass er noch lebt.» Marwa hat sich mittlerweile – Stunden nach dem Amoklauf – mehrmals gewaschen. Sie glaubt aber, sie kann noch immer das Blut riechen, das zuvor ihre Kleidung und Hände bedeckte.

Mehr zum Thema:

Weiterlesen

4 Interaktionen
Supplements

Mehr aus Schweden