Im Kosovo steht der Tannenbaum erst jetzt!
Tanz, Baklava und Musik – die kosovostämmige Kolumnistin Shqipe Sylejmani erzählt, wie sie als Kind Weihnachten und Silvester erlebte.
Das Wichtigste in Kürze
- Heute geht ein weiteres von der Pandemie geprägtes Jahr zu Ende.
- Nau.ch-Kolumnistin Shqipe Sylejmani erinnert sich an frühere Silvesterabende.
Mögen Sie sich noch an Ihr erstes Silvester erinnern? An das erste Mal, an dem Sie das Ende und den Anfang von etwas so Grossem, wie einem Jahr, erlebt haben?
Corona hat unser aller Welt auf den Kopf gestellt – und auch zum Jahreswechsel begleiten uns Gedanken an das Virus und den Infektionszahlen ein weiteres Mal. Ein Grund mehr, in Erinnerung an die Tage zu schwelgen, in denen wir noch unbeschwert und im grossen Stil miteinander feiern durften. In meinem Fall war mein letztes «freies» Silvester in Prishtina.
2019 war ein besonderes Jahr und genauso sollte es zu Ende gehen: in der Hauptstadt Kosovos, im Kreise der Familie und traditionell. Dies bedeutet in meiner Familie mit warmen Raki, Rindsfilets um Mitternacht, Baklava und natürlich einem prunkvoll geschmückten Tannenbaum, der – anders als in der Schweiz - erst für den letzten Tag des Jahres aufgestellt wurde.
«Erinnere mich, auf Tischen getanzt zu haben»
Im Kreise meiner Freunde begann der Spass im besagten Jahr jedoch schon viel früher: in den Morgenstunden wurde bereits ein Rundgang zu allen Familienmitgliedern unternommen, viel gegessen, viel gefeiert.
Am Nachmittag luden Tagespartys mit allerlei Musik zum festen ein und ich erinnere mich noch, auf einigen Tischen getanzt zu haben, bevor dann – etwas gesitteter – im Kreise der Familie gefeiert wurde und das Jahr sich mit dem festlichen, albanischen TV-Programm, Musik und Tanz dem Ende zuneigte.
Die ersten paar Jahre, nachdem wir in die Schweiz kamen, war an ein Silvester in der Heimat nicht zu denken: die instabile Lage, schwere Winter und die kräftezerrende Reise im Auto machten das Zusammenkommen der Familie fast unmöglich. Doch ein kleines Stück Heimat schaffte es trotzdem immer zu uns in die Scheiz: dank Videokassetten. «Urime Viti i Ri me Labia» – «Ein frohes neues Jahr mit Labia» hiessen die kleinen Botschafter aus dem fernen Kosovo, die uns an diesem Abend etwas «Zuhause» schenkten.
Die Videokassetten hatten stets humorvolle Abschnitte des bekannten Comedy-Trios «Treshi Persheshi», fanden in zauberhaften Locations statt und schenkten uns die besten albanischen Hits des letzten Jahres. Es war die einzige Verbindung, die wir zu dieser Zeit zum Kosovo hatten. Wir waren nicht viele Familienmitglieder im Ausland, doch an diesem Abend fanden wir und Freunde in unserer kleinen Wohnung zusammen und das Wenige das man hatte, teilte man, um diesen einen Abend zu etwas Besonderem werden zu lassen.
«Kaum möglich, an ein grosses Famlienfest zu denken»
All dies bleibt eine schöne, längst vergangene Erinnerung. Die Kassetten wurden schon längst durch etliche Fernsehsender ersetzt, die uns aus dem Kosovo tagelang mit Musik, Kunst und Kultur versorgen. Das wundervolle Comedy-Trio hat zwei seiner Mitglieder verloren, eines davon an Corona. Zusammen kommen wir nur noch über Skype, Viber & Co., selbst die engste Familie ist nun fast schon zu gross, um die bestehenden Massnahmen einzuhalten.
Seit zwei Jahren ist es kaum noch möglich, etwas zu planen, Reisen anzutreten oder an ein grosses Familienfest zu Silvester in der Heimat zu denken. Und so nähren wir uns an den Erinnerungen.
Keine Kassetten mehr bis 2001
Vor ein paar Tagen fand ich auf Youtube einige der Videos von den Kassetten aus 1997. Ich genoss die Leichtigkeit und die Freude, die die Menschen in diesen ausstrahlten. Zwei Jahre später brach der Krieg im Kosovo aus – die nächste Silvesterkassette erschien dann 2001. Die Menschen knüpften genau dort an, wo sie aufgehört hatten – das Leben ging weiter.
Ohne irgendwelche Schlüsse zwischen diesen zwei geschichtlichen Ereignissen herstellen zu wollen, ging mir trotzdem durch den Kopf, dass die Menschheit schon jenste Krisen überstanden haben. Auch diese Coronakrise wird irgendwann zu Ende gehen: genauso wie die Jahre.
Möge das neue Jahr Ihnen und Ihren Liebsten schöne Momente, kleine und grosse Wunder, viel Gesundheit und Frieden schenken. Auf das wir im nächsten Jahr wieder gemeinsam, mit mehr Freude als Ängsten, der Zukunft entgegenblicken.