Eigenössisches: Deshalb habe ich als Schweiz-Albanerin Platz
Shqipe Sylejmani ist als Ambassadorin mit kosovarischen Wurzeln am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest 2022 dabei. Ein Gastbeitrag.
Das Wichtigste in Kürze
- Shqipe Sylejmani fühlte sich als Schweiz-Albanerin nicht willkommen am ESAF.
- 2022 findet das ESAF in Pratteln mit dem Motto «Tracht lacht – Brauchtum verbindet» statt.
- Sylejmani freut sich riesig, als Ambassadorin mit kosovarischen Wurzeln mitzuwirken.
Es schien für mich wie ein Ereignis, zu dem ich keinen Zutritt haben sollte und nun in meiner Bürgergemeinde stattfinden würde: das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest ESAF.
Erst drei Jahre zuvor hatte ich mich mit dem Festival auseinandergesetzt: Ich organisierte einen Kulturanlass am selben Wochenende, an dem das ESAF 2019 in Zug stattfand. In den Kultur- und Sportnachrichten gab es kaum andere Meldungen: Schliesslich ging es hier um den urschweizerischsten Traditionsanlass überhaupt.
Der Event, der die Schweiz so einnahm, schien mir vor allem eines: exklusiv. Schwingen, Steinstossen, Hornussen las ich im Programm, sah die wunderschönen Eindrücke aus dem zauberhaften Zug, die kulturellen Veranstaltungen, Kinder und Schwinger in Edelweiss-Hemdchen. Es zeigte ein Bild der Schweiz, in dem ich, eine Schweiz-Albanerin, scheinbar keinen Platz hatte.
Und plötzlich stand fest: genau dieses urpatriotische Fest würde nach Pratteln kommen – in meine Bürgergemeinde. Eine Gemeinde, die nicht nur multikulturell war, sondern dies auch voller Stolz zeigte.
Dennoch war ich erstaunt, als mich die Gemeinde mit dem für das ESAF vorgesehene Teilprojekt «Tracht lacht – Brauchtum verbindet» konfrontierte: Die aus über 100 Nationalitäten bestehende Gemeinde wolle die Vielfalt und Gemeinsamkeiten seiner Bewohner anhand von Trachten zelebrieren.
Auf die Frage hin, ob ich als Ambassadorin mit kosovarischen Wurzeln mitwirken möchte, konnte ich – voller Stolz – nur mit «ja» antworten.
Schweizer Trachten in ihrer ganzen Schönheit
Die Ouvertüre des Projekts fand diesen Samstag statt und offen gesagt, war mir etwas bange. Wie würden die Menschen reagieren, mich an einem solchen Anlass in kosovarischer Tracht zu sehen? Zudem war es im Kosovo durchaus üblich, an Festen und Familienzusammenkünften eine Tracht zu tragen, doch in der Schweiz kannte ich dies kaum und hatte kaum je eine Schweizer Tracht gesehen.
Umso besonderer war es, diese an der Ouvertüre des Projekts in ihrer vollen Pracht zu entdecken. Jede Region hatte Eigenheiten, die sie in ihre Tracht einbrachten, und es zeichnete sich ein prächtiges Bild, als zu den basel-landschaftlichen, basel-städtischen, Bernern und anderen Schweizer Trachten auch solche aus Sri Lanka, Spanien, Portugal und vielen weiteren Ländern dazustiessen.
Fragen über meine kosovarische Tracht, die mit von Hand bestickten Perlen besticht, zeigten uns die vielen Ähnlichkeiten zur Herstellung und Wahrung der besonderen Kleidungsstücke auf.
Kulturelle Identität Schweiz
Nachdem der Jodelchor seinen Auftritt beendet hatte, führte eine Mädchengruppe Tänze aus Sri Lanka zu Schweizer Alpenmusik vor. Ich schaute in die Runde und sah erstaunte und zufriedene Gesichter. Etwas Neues war entstanden, was wie ein Sinnbild für den Anlass schien.
Eines stimmte mich nachdenklich: Während in den meisten Kulturen vor allem Junge die Trachten ihrer Wurzeln zelebrierten, bestand die Trägerschaft der Schweizer jedoch aus einer älteren Generation.
Einzelne Familien führten die Tradition zwar seit Generationen fort, wie beispielsweise Marianne Gysin und ihre Tochter Sandra, die Trachtenschneiderinnen im Baselland. Doch war dies eher die Ausnahme.
Traditionen aufleben lassen
Als Kind war ich erstaunt, dass wir die Nationalhymne nicht in der Schule lernten, denn im Kosovo war dies üblich. Auch die verschiedenen Sitten, Gepflogenheit oder Bräuche waren während meiner Ausbildung in der Schweiz nie ein Thema. Wieso eigentlich nicht?
Es wäre schön gewesen, nebst den Fakten über Flüsse, Berge und Pässe vor allem dies zu lernen, Orte zu besuchen, die diese Traditionen noch pflegten oder im Handarbeitsunterricht solche Trachten nähen zu lernen. Denn das macht ein Land ja auch aus: seine Kultur, seine Traditionen und seine Werte.
Das Engagement im Projekt «Tracht lacht – Brauchtum verbindet» soll Menschen zusammenführen, Gemeinsamkeiten entdecken lassen, wo vorher nur Unterschiede gesehen wurden. Das Ereignis, das mir noch vor kurzem vorenthalten schien, öffnet mit genau solchen Projekten die Tür für neue Gäste. Hoffentlich gibt dies den Schweizer Traditionen eine Möglichkeit, wieder zu wachsen und den Platz in unserer Gesellschaft zu erhalten, den sie verdienen.
Die Autorin: Shqipe Sylejmani ist als Kolumnistin bei Nau.ch tätig, wo sie über das Leben in zwei Welten schreibt. Die in Pristina geborene Journalistin und Kommunikationsberaterin veröffentlichte im Oktober 2020 ihren ersten Roman «Bürde & Segen».