Albaner-Ausgrenzung nimmt aggressiveres Ausmass an!
Nau.ch-Kolumnistin Shqipe Sylejmani kritisiert die zunehmende Ausgrenzung der albanischen Gemeinschaft. Es seien alte Wunden aufgerissen worden, so die Autorin.
Das Wichtigste in Kürze
- Nach den Ferien landeten viele Balkan-Reisende auf den Schweizer Intensivstationen.
- Diese und weitere Meldungen sorgten später für eine hitzige Debatte.
- Kolumnistin Shqipe Sylejmani kritisiert die Diskriminierung von Albanern in der Schweiz.
Die Schlagzeilen übertrumpften sich regelrecht in den letzten Wochen, sodass sogar ein renommiertes Blatt wie die NZZ über «ungebildete Albaner» zu urteilen vermag, die Pandemie allein durch Albaner in die Schweiz zurückfand und selbst der Captain der Schweizer Fussballnationalmannschaft für einen persönlichen Entscheid an den Pranger gestellt wird.
Das Resultat: Ein diskriminierendes Urteil, das alte Wunden aufreisst.
Ich erinnere mich ungern an die Tage als Studentin, an denen ich wieder einmal ungewollt in die Rolle der Aufklärungsarbeiterin versetzt wurde, um das «Kosovaren schlitzen Schweizer auf»-Plakat der SVP zu kommentieren oder was sonst gerade medial zu Albanern aufgearbeitet wurde.
Diese letzten Wochen bringen mir diese Tage wieder sehr nahe, denn kaum ein Medium hat es ausgelassen, die Albaner in diesem Land zum Sündenbock zu erklären.
Nennen wir das Kind beim Namen
«Corona made in Kosovo», könnte man meinen, liest man die letztlichen Berichterstattungen und endlich hat man einen hausgemachten Feind, den man für die aktuelle Situation verantwortlich machen kann.
Da scheint es dem Zürcher Regierungsrat ganz natürlich, das Alba-Festival, eine Veranstaltung der albanischen Community, keine 48 Stunden vor dem Event abzusagen, trotz aufgestellter Bühnen, trotz Genehmigung, trotz Schutzkonzept, trotz Impfstation vor Ort, trotz Flehen, trotz Bitten, trotz Einwänden.
Mann musste nicht bekräftigen, dass das Alba-Festival aufgrund der «impfunwilligen albanischen Gemeinschaft», wie es offiziell kommuniziert wurde, abgesagt wurde. Die aktuellen Ereignisse bestätigten dies bereits.
Während 20'000 Demonstranten ohne jegliche Schutzmassnahmen eng aneinander die PRIDE auf den Zürcher Strassen zelebrierten, feierten in Bern auch noch 40'000 eine ausgelassene Party am Energy Air. Ganz zu schweigen von den etlichen Konzerten und Clubs, die an diesem Wochenende ihre Gäste zu Tausenden begrüssten. Nennen wir das Kind beim Namen: Dies ist Diskriminierung.
Genug ist genug
Diese Ausgrenzung der albanischen Gesellschaft in der Schweiz scheint mir ein immer aggressiveres Ausmass anzunehmen. Während vor ein paar Wochen noch die Nationalspieler mit Migrationshintergrund anhand einer Nationalhymne auf ihre Loyalität getestet wurden, wird der Captain Granit Xhaka für seine persönliche Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen – was übrigens 51 Prozent der SVP begrüssen – an den Pranger gestellt.
Minutiös wurden die Corona-Fälle von Albanern in den Spitälern erfasst und veröffentlicht und die halbe albanische Community musste sich erheben, um in allerlei Formen für die Impfung zu werben, damit die Medienlandschaft Schweiz es als «genug» Engagement empfindet, um endlich von dem Thema abzulassen.
Wir stehen auf der Kippe. Wir haben sogar den Peak erreicht. Eine Veranstaltung, die allen Bewohnern der Schweiz offen gestanden wäre, wurde abgesagt, um ein Zeichen zu setzen. Dass «wir» so nicht weitermachen können.
Dass «unser Tun» nun Konsequenzen hat. Das Image der Albaner, dass Hunderttausende seit Jahren täglich zum Positiven mitgestalten, ist in der Schweiz anscheinend so instabil, dass ein Sommer, eine Impfung, ein Festival reichen, um uns endgültig zu diskreditieren.
Wie weiter?
Politikerinnen wie Qendresa Hoxha-Sadriu (SP), Sonja Rueff-Frenkel (FDP), Isabel Garcia (GLP) sowie Anne-Claude Hensch (AL) haben im Kantonsrat eine Anfrage bezüglich der Absage zum Festival eingereicht. Sie sind nur einige aus der Politebene, die ihre Bestürzung und Irritation zu dem Thema kundtun. Ob solche Schritte den derzeitigen Wandel aufhalten können, wird sich zeigen.
Dass die derzeitigen Schlagzeilen auch unseren Alltag berühren, spüre ich auch selbst immer wieder. Sei es im Alltag selbst oder schlicht in meinem Posteingang: Ich werde aufgefordert, Stellung zu beziehen, aufzuklären, zu motivieren und zu definieren, was richtig ist und was falsch.
Und Gott bewahre, dass ich mir einen Fehler erlaube. Denn den Fehler begehe dann nicht nur ich – sondern anscheinend alle 250'000 Albaner in diesem Land.
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Shqipe Sylejmani ist als Kolumnistin bei Nau.ch tätig, wo sie über das Leben in zwei Welten schreibt. Die in Prishtina geborene Journalistin und Kommunikationsberaterin veröffentlichte im Oktober 2020 ihren ersten Roman «Bürde & Segen».