Iran plant Sondergerichte - Experten befürchten Haftstrafen
Nach dem Vorgehen iranischer Sicherheitskräfte gegen Demonstrierende verwahrt sich Teheran gegen Kritik aus Europa. Irans Justiz plant nun Sondergerichte. Die Proteste im Land halten offenbar weiter an.
Das Wichtigste in Kürze
- Die iranische Justizbehörde plant Sondergerichte für Demonstrierende, die bei den landesweiten Protesten festgenommen worden sind.
Das gab der Justizchef der Hauptstadt Teheran, Ali Alghassimehr, am Montag bekannt.
Auf «Anführer der vom Ausland angeheuerten Unruhestifter» solle keinerlei Rücksicht genommen werden. «Die Justizbeamten sollen mit ihnen genauso wie mit Vergewaltigern und Schwerverbrechern umgehen», so der Teheraner Justizchef laut Nachrichtenagentur Tasnim.
Da Regierung und Justiz alle Demonstrierenden als vom Ausland engagierte Söldner bezeichnet, rechnen Beobachter mit langen Haftstrafen. Zu den Sondergerichten soll auch das Revolutionsgericht gehören, das für Verstösse gegen die nationale Sicherheit zuständig und für seine harten Urteile berüchtigt ist.
Iran weist EU-Kritik zurück
Der Iran wies Kritik der Europäischen Union am Vorgehen gegen die andauernden Proteste im Land zurück. «Das ist Einmischung in die internen Angelegenheiten des Irans und Unterstützung von Krawallmachern», sagte Aussenamtssprecher Nasser Kanaani.
Der Fall Mahsa Amini werde derzeit untersucht, aber die EU und der Westen ignorierten diese Tatsache und unterstützten Unruhestifter, die die Sicherheit des Irans gefährdeten.
Auslöser der seit neun Tagen anhaltenden regimekritischen Proteste im Iran ist der Tod der 22 Jahre alten Mahsa Amini. Sie war von der Sittenpolizei wegen eines Verstosses gegen die strenge islamische Kleiderordnung festgenommen worden und am 16. September unter ungeklärten Umständen verstorben.
Internetsperre beeinträchtigt Informationsfluss
Indessen beeinträchtigt eine massive Internetsperre im Iran die Verbreitung von Informationen über die Proteste im Land stark. Demonstrierende können beispielsweise weniger Videos und Informationen in sozialen Medien posten. Augenzeugen berichteten aber, dass Menschen in der Nacht zum Montag in verschiedenen Teilen der Hauptstadt Teheran gegen die iranische Führung protestiert hatten. «Islamische Republik wollen wir nicht, wollen wir nicht» war einer der meist gehörten Slogans.
Augezeugen berichteten weiter, dass die Polizei einige Hauptstrassen in Teheran blockierte, um eine Ausweitung der Proteste zu verhindern. Auch waren Schüsse zu hören, unklar jedoch, ob in die Luft oder auf Demonstrierende. Viele Teheraner lassen auch die Eingangstüren ihrer Gebäude offen, damit Demonstrierende sich vor den Sicherheitskräften verstecken können.
Die lokale Presse berichtet entweder überhaupt nicht über die Proteste oder sie reflektiert lediglich den Standpunkt der Regierung. Mehrere iranische Reporter wurden nach Angaben des Journalistenverbands wegen ihrer kritischen Berichterstattungen über die Proteste entweder verhaftet oder mit rechtlichen Konsequenzen verängstigt.
Für Iraner sind daher nur die sozialen Medien und die persischsprachigen Nachrichtensender im Ausland Nachrichtenquellen. Aber die massiven Einschränkungen des Internets haben auch den Zugang zu diesen Quellen erheblich erschwert.
Dementsprechend gibt es auch keine neuen Angaben zu der Anzahl der Toten oder Festgenommenen. Bislang war inoffiziell von über 40 Toten und über 1000 Festnahmen in zwei Provinzen im Nordiran die Rede. Beobachter befürchten jedoch weitaus mehr Tote - sowohl auf der Seite der Demonstranten als auch der Sicherheitskräfte - und auch eine grosse Festnahmewelle.
Prominente üben Kritik
Immer mehr iranische Prominente schliessen sich den Protesten an. Einheimische Fussball- bis hin zu Filmstars kritisieren die aggressive Vorgehensweise der Führung gegen die Demonstrierenden. Besonders aktiv ist der iranische Fussballstar und ehemalige Bundesliga-Profi Ali Karimi. Wegen seiner offenen Kritik sollen nun seine Bankkonten eingefroren werden.
Auch der Regisseur und zweifache Oscarpreisträger Asghar Farhadi und andere renommierte Filmstars sympathisieren mit den Demonstrierenden. Die Hardliner im Land haben daher ein Arbeitsverbot für all diejenigen Künstler gefordert, die sich auf die Seite der Demonstrierenden stellen.
Mit rechtlichen Schritten muss laut Justiz auch die iranische Prominenz rechnen, falls sie sich öffentlich mit den «Krawallmachern» soldarisieren sollte.
Auswärtiges Amt bestellt Botschafter ein
Das Auswärtige Amt in Berlin bestellte den iranischen Botschafter ein. Das Gespräch werde an diesem Montagnachmittag stattfinden, teilte ein Sprecher des deutschen Aussenministeriums in Berlin mit. Zudem betonte er, man werde auf EU-Ebene rasch über alle Optionen einer Reaktion beraten.
Zuvor hatte der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell im Namen der 27 Mitgliedsstaaten erklärt, der unverhältnismässige Einsatz von Gewalt gegen gewaltlose Demonstranten im Iran sei nicht zu rechtfertigen und nicht hinnehmbar.
Die EU forderte, dass der Iran die Zahl der Toten und Verhafteten klären, alle gewaltlosen Demonstrierenden freilassen sowie den Inhaftierten ein ordnungsgemässes Verfahren gewähren müsse. Der Tod von Amini müsse ordnungsgemäss untersucht und die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Zugleich drohte die EU vage mit möglichen Sanktionen gegen das Land.