Jubiläum für einen Kultkasten: Die rote Telefonzelle wird 100
Die rote Telefonzelle feiert Jubiläum: Doch gebraucht wird der Kultkasten in Zeiten von Smartphones und mobilem Internet kaum noch.
In Kingston-upon-Thames hat man den Lauf der Dinge offenbar schon geahnt. Wie eine stürzende Dominoreihe sind in dem Südwestlondoner Bezirk mehrere rote Telefonzellen angeordnet. «Out of Order» heisst die Installation, das lässt sich als «ausser Betrieb» übersetzen. Tatsache ist: So charismatisch sie sind – wirklich gebraucht wird die britische Ikone in Zeiten von Smartphones und mobilem Internet kaum noch. Und so ist ein bisschen Wehmut dabei, wenn der Kultkasten nun Jubiläum feiert.
An diesem Donnerstag, 23. Mai, ist es 100 Jahre her, dass der Architekt Giles Gilbert Scott seinen Entwurf für den Kiosk No 2 einreichte. Abgekürzt wird der technisch-banale Name K2. Das erinnert an den berühmten Achttausender im Himalaja, die Verwechslungsgefahr dürfte aber gering sein.
Lange Schlangen für ein Foto mit der roten Box
Klar ist: Die roten Telefonzellen gehören zu Grossbritannien wie die Royals und der Tee. Ohne sie ist das Strassenbild von London für Touristen kaum vorstellbar. Eine der bekanntesten Boxen steht im Regierungsbezirk Westminster und hat sogar einen eigenen Eintrag bei einem Online-Kartendienst – bei schönem Wetter stehen Besucher in langen Schlangen an, um ein Foto mit Blick aufs Parlament und Big Ben zu schiessen.
2015 zum grossartigsten britischen Design der Geschichte gekürt, hat die Bedeutung schon vorher längst abgenommen. Landesweit gibt es noch rund 3000 der Boxen, wie die Behörden schätzen, die Zahl sinkt ständig. Kein Anschluss unter dieser Nummer? Auch deshalb hat der Telekommunikationsriese BT schon vor gut 15 Jahren sein Adoptionsprogramm für die Zellen ins Leben gerufen.
Aus Telefonzelle wird Mini-Bibliothek
Tausende «red boxes» sind seitdem von Kommunen und Organisationen zum symbolischen Preis von einem Pfund (1,17 Euro) erworben worden. Die britische Fantasie kennt keine Grenzen: Als Mini-Bibliothek, Standorte von Defibrillatoren, als Gewächshaus oder sogar als kleines Museum sind die Telefonzellen erhalten. Einige Exemplare wurden angeblich sogar als Duschen in Wohnungen eingebaut. Auf den Strassen ist der einstige «eye-catcher» immer seltener zu sehen. Etwas wehmütig vergleichen Londoner die Entwicklung mit den ebenso berühmten roten Doppeldeckern und schwarzen Taxis – die fahren zwar noch in Massen durch die britische Hauptstadt, aber immer häufiger in anderen Farben.
Tatsächlich sollte auch K2 eigentlich nicht im bekannten Rot erstrahlen. «Scotts Siegerentwurf sollte ursprünglich aus silberfarben lackiertem Stahl mit einer blaugrünen Innenausstattung bestehen», weiss die britische Regierung zu berichten. Erst nach der Kür entschied sich das damals zuständige General Post Office dafür, die Box aus Gusseisen herzustellen und rot zu lackieren.
Inspiration von einem Grab
Entworfen hatte Scott (1880–1960) das Design für einen Wettbewerb, mit dem die Royal Fine Arts Commission auf Wunsch des Generalpostmeisters eine Alternative zum Kiosk No 1 finden wollte. Die Zelle aus Beton war erst 1921 eingeführt worden, aber reichlich unbeliebt. Angeblich liess sich Scott vom Familiengrab inspirieren, das der Architekt John Soane, der unter anderem das Gebäude der Bank of England entwarf, 1816 für seine Ehefrau errichten liess. Scott kannte das Werk gut – er war jahrzehntelang Treuhänder des Sir John Soane’s Museum.
K2 überzeugte bald. Das Rot passte zu den gleichfalls ikonischen roten Briefkästen und den roten Bussen. Allerdings war das imposante Design, das auf allen vier Seiten das königliche Wappen von König Georg V. zeigte, nur in der Hauptstadt zu sehen. Mit einer britischen Tonne war die Zelle einfach zu schwer und zu teuer für den landesweiten Einsatz. Dennoch diente K2 als Grundlage für die nächsten Generationen der roten Box.
K8 bedeutete das Ende der Serie
1935 gab die Post bei Scott eine neue Telefonzelle in Auftrag, um das silberne Thronjubiläum von König George V. zu feiern. Der «K6-Jubiläumskiosk» ähnelte dem K2, bestand aus Gusseisen und war rot lackiert, aber mit rund einer dreiviertel Tonne deutlich leichter. Grössere Fenster liessen mehr Licht hinein. Ende der 1930er-Jahre waren im Vereinigten Königreich etwa 20'000 K6-Telefonzellen im Einsatz – auch die Installation in Kingston besteht aus ausrangierten K6. Als letzte «red telephone box» wurde 1968 die K8 von Architekt Bruce Martin eingeführt, die nur noch ein grosses Fenster auf drei Seiten bot.
Auch wenn in ihnen immer seltener telefoniert wird – aussterben dürften die ikonischen Zellen nicht. Die Regierung hat einige von ihnen unter Denkmalschutz gestellt. Denn, wie es mal ein Passant in Kingston sagte: «Sie sind ein Teil des Bluts, Körpers und der Struktur von Grossbritannien.»