Jugend-Kriminalität erledigt sich oft von allein

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Deutschland,

Sofort hart durchgreifen, damit für Jugendliche nicht gilt: Einmal kriminell, immer kriminell? Forscher der Universitäten Münster und Bielefeld haben über Jahre Umfragen zu Straftaten gemacht - und sehen in harten Reaktionen den falschen Ansatz.

Wer im Jugendalter eine Straftat begeht, hat nicht unbedingt eine kriminelle Karriere vor sich. Entscheidend ist, wie Richter und Bezugspersonen auf das Vergehen reagieren. Foto: Caroline Seidel/dpa
Wer im Jugendalter eine Straftat begeht, hat nicht unbedingt eine kriminelle Karriere vor sich. Entscheidend ist, wie Richter und Bezugspersonen auf das Vergehen reagieren. Foto: Caroline Seidel/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Wer als Jugendlicher kriminell wird, bleibt es in der Regel nicht sein Leben lang.

Forscher der Universitäten Münster und Bielefeld widersprechen nach einer auf Befragungen basierenden Langzeitstudie dem Vorurteil «einmal kriminell, immer kriminell».

Diebstahl oder einfache Gewaltdelikte sind demnach im späten Kindes- und mittleren Jugendalter nicht ungewöhnlich: Bei den befragten Jungen gaben 28 Prozent im Kindesalter und 25 Prozent als Jugendliche an, solche Taten begangen zu haben. Bei den Mädchen waren es mit 22 und 14 Prozent etwas weniger. Ab dem Ende des Jugendalters wurden die allermeisten dann nicht mehr straffällig. «Dieser starke Rückgang der Jugenddelinquenz ist normal und wird als Erfolg einer regulär verlaufenden Erziehung und Sozialisation gewertet», erklären die Studienautoren zu dem Ergebnis, das auf andere Grossstädte übertragbar sei.

Die Wissenschaftler um den Kriminologen Klaus Boers und den Soziologen Jost Reinecke hatten von 2002 bis 2019 in Duisburg rund 3000 Menschen zwischen dem 13. und 30. Lebensjahr regelmässig nach begangenen Straftaten, Einstellungen, Werten und Lebensstilen befragt. Zwei Drittel der Schulen in Duisburg hätten teilgenommen, wobei Hauptschulen und Gesamtschulen eher dazu bereit gewesen seien als Gymnasien.

Pädagogische Reaktion muss folgen

Das Ergebnis glichen die Forscher mit Behördendaten ab. Sie hätten auf Antrag Einsicht in das Erziehungs- und das Strafregister bekommen, erklärte Boers. «Damit können wir untersuchen, wie sich strafrechtliche Sanktionen auswirken. Zusätzlich kann man abgleichen, inwieweit die Delinquenzangaben der Schülerinnen und Schüler zutreffen.»

Soziale Normen würden durch eine pädagogisch angemessene Reaktion auf Regelverletzungen erlernt, schreiben die Autoren in der Studie «Kriminalität in der modernen Grossstadt». «Kleine bis mittlere Delikte bieten auch eine Chance, die Geltung von Normen, die Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem zu erlernen. Im Tabu-Bruch liegt also immer auch die Möglichkeit, das Tabu zu bewähren», so Boers.

Dabei sprechen die Forscher von Spontanbewährung. Das meiste regele sich von selbst, ohne Eingreifen der Strafjustiz. «Aber natürlich nicht ohne jegliche Eingriffe: Familien, Freundesgruppen, Schulen, oder Vereine leisten gerade auch beim Erlernen von Normen die primäre Arbeit», erklärte Boers.

Im Jahr 1990 war in Deutschland das geändert worden. «Staatsanwälte und Jugendrichter können seitdem, wenn es erzieherisch sinnvoll ist, Strafverfahren leichter einstellen», sagte Boers. Das hat den Wissenschaftlern zufolge in den vergangenen Jahren nicht zu mehr Jugendkriminalität und Gewalt geführt. Beobachtet werde vielmehr ein Rückgang.

Weniger Gewaltkriminalität

«Die Gewaltkriminalität ist seit Mitte der 2000er Jahre deutlich zurückgegangen, bei Jugendlichen und Heranwachsenden sogar um die Hälfte. Das sagen offizielle Kriminalitätsstatistiken und Dunkelfeldbefragungen», sagte Boers. Von einer Null-Toleranz-Strategie, also einer schnellen Verurteilung auch bereits bei leichten Straftaten, sei abzuraten, sind die Experten überzeugt. «Für die Wirksamkeit sozialer Kontrolle ist in Familien und Schulen wie in der Justiz entscheidend, dass auf Normverletzungen überhaupt reagiert wird. Dass also bekannt ist, dass eine Reaktion erfolgen kann. Dafür muss aber nicht alles geahndet werden.»

Doch wie sieht es bei Intensivtätern aus? «Von ihnen werden zwar drei von vier aller Gewaltdelikte ihrer jeweiligen Altersgruppe begangen. Sie sind aber nicht auf Gewalt spezialisiert, sondern begehen überwiegend Diebstähle und Sachbeschädigungen», sagte Reinecke. Exakte Prognosen, wer von ihnen den Absprung schaffe, seien nicht möglich. «Aber wir können heute anhand der kriminologischen Verlaufsstudien viel besser als früher sagen, unter welchen Bedingungen damit zu rechnen ist, dass selbst Intensivtäter künftig weniger straffällig werden.»

Ein weiteres Ergebnis der Studie: In der dritten Einwanderungsgeneration konnten die Forscher keine gravierenden Unterschiede zwischen männlichen Jugendlichen deutscher, türkischer oder osteuropäischer Herkunft mehr feststellen. Die Studie führt das auf die erfolgreichere Integration in das Bildungssystem zurück. Das sei vor allem in den 1990er-Jahren noch anders gewesen.

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