Ärzte müssen kein Schmerzensgeld zahlen, wenn sie das Leben und damit auch das Leiden eines Patienten etwa durch künstliche Ernährung verlängern.
Bundesgerichtshof in Karlsruhe
Bundesgerichtshof in Karlsruhe - dpa/AFP/Archiv

Das Wichtigste in Kürze

  • Bundesgerichtshof: Weiterleben ist kein Schaden.
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Der Bundesgerichtshof (BGH) wies am Dienstag eine Schmerzensgeld- und Schadenersatzklage im Fall eines schwer kranken Manns zurück, der bis zu seinem Tod jahrelang durch eine Magensonde künstlich ernährt worden war. Es verbiete sich, Weiterleben als Schaden anzusehen, erklärten die Bundesrichter. (Az. VI ZR 13/18)

Der Sohn des 2011 verstorbenen Patienten hatte dessen Hausarzt auf 100.000 Euro Schmerzensgeld und Schadenersatz in Höhe von mehr als 50.000 Euro für Behandlungs- und Pflegekosten verklagt. Sein Vater hatte an Demenz gelitten und in seinen letzten Lebensjahren weder kommunizieren noch sich bewegen können. Dass er fünf Jahre lang künstlich ernährt wurde, bedeutete für seinen Sohn spätestens seit Anfang 2010 nur noch eine «sinnlose Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens». Eine Patientenverfügung besass der Mann allerdings nicht, sein mutmasslicher Wille liess sich nicht feststellen.

Das Oberlandesgericht München sprach dem Sohn Ende 2017 ein Schmerzensgeld von 40.000 Euro zu. Das Gericht begründete dies damit, dass der Arzt seine Aufklärungspflicht verletzt habe. Er hätte demnach mit dem offiziellen Betreuer des schwer kranken Manns - einem Rechtsanwalt - erörtern müssen, ob die Ernährung über die Magensonde fortgesetzt oder beendet werden solle. Der Bundesgerichtshof hob diese Entscheidung auf und stellte das Urteil des Landgerichts wieder her, das die Klage in erster Instanz abgewiesen hatte.

Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgelds zu, erklärte der Bundesgerichtshof. Es könne dahinstehen, ob der Arzt Pflichten verletzt habe. Hier stehe das durch künstliche Ernährung ermöglichte Weiterleben mit krankheitsbedingten Leiden dem Tod gegenüber. Das menschliche Leben sei aber «absolut erhaltungswürdig - das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu», urteilte der BGH. Deshalb verbiete es sich, «das Leben - auch ein leidensbehaftetes Weiterleben - als Schaden anzusehen».

Dem Kläger steht nach dem Urteil des BGH auch kein Schadenersatzanspruch für Behandlungs- und Pflegekosten zu. Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Massnahmen sei es nicht, wirtschaftliche Belastungen zu verhindern. Insbesondere dienten diese Pflichten nicht dazu, «den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten».

Das Urteil des Bundesgerichtshofs hat aber keinen Einfluss auf den in Patientenverfügungen festgelegten Willen. Es sei nicht darüber zu entscheiden gewesen, ob die künstliche Ernährung gegen den Willen des Betroffenen erfolgt sei, stellte der BGH fest. Mit einer Patientenverfügung kann jeder festlegen, ob und wie er behandelt werden möchte. Daran sind auch Ärzte gebunden, wenn die Vorgaben eindeutig sind.

Auf diese Möglichkeit wies auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz hin. Mit einer Patientenverfügung seien viele Fragen geklärt, die in dem Fall vor dem BGH zum Streit geführt hätten, erklärte Vorstand Eugen Brysch. Wem Selbstbestimmung wichtig sei, solle daher in gesunden Tagen unbedingt vorsorgen. Eine Patientenverfügung binde Bevollmächtigte und Betreuer sowie Ärzte.

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