Klima: Nicht die Aktivisten werden radikaler – sondern ihre Gegner
Dass die Klimabewegung immer radikaler werde, hört man öfters. Forscher sehen dies allerdings eher bei jenen, denen die Aktivisten ein Dorn im Auge sind.
Das Wichtigste in Kürze
- Klimaaktivisten wird immer mal wieder vorgeworfen, sich zu radikalisieren.
- Bayrische Behörden vermutet hinter der Letzten Generation gar eine kriminelle Vereinigung.
- Dabei radikalisieren sich Forschern zufolge nicht die Aktivisten, sondern ihre Kritiker.
Klimaaktivistinnen und -aktivisten werden immer schärfer angegangen. Medien brandmarken sie als «Klima-Kleber», die Polizei steckt sie ins Gefängnis und Politiker regen sich über zivilen Ungehorsam auf.
Gleichzeitig hält es der Schweizer Nachrichtendienst gegenüber den «CH Media»-Zeitungen für «wahrscheinlich», dass sich «ein Teil dieser Szene» radikalisieren werde. Und in Deutschland wird diskutiert, ob es sich bei der «Letzten Generation» nicht doch um eine kriminelle Vereinigung handelt. Dabei sind es nicht die «Klima-Kleber», sondern ihre Gegner, die sich laut Experten radikalisieren.
Radikale Klimaaktivisten? I wo!
Vor einigen Tagen hallte eine Schlagzeile der Nachrichtenagentur «dpa» durch die deutschsprachige Medienlandschaft: «Letzte-Generation-Razzia: Forscher warnt vor Radikalisierung», hiess es auch auf Nau.ch.
Der Extremismus-Experte Matthias Quent zeigt darin auf, dass Exempel wie gross angelegte Hausdurchsuchungen auch «nach hinten losgehen» können. Zuvor hatte es auf Anordnung der bayrischen Justiz deutschlandweit Razzien gegen Aktivisten der Letzten Generation gegeben. Quent zufolge könnten sich Aktivisten durch solche Aktionen vom Staat im Stich gelassen fühlen. Das könnte bei einzelnen dazu führen, dass sie sich radikalisieren.
Der Forscher sagt aber auch, dass er bei der Letzten Generation keine Hinweise auf eine Radikalisierung sehe. «Im Gegenteil: Ich finde es bemerkenswert, wie ruhig die bleiben, auch wenn sie angegriffen werden.»
Protestforscher Christian Volk von der Humbold-Universität vertritt gegenüber der «Zeit» einen ähnlichen Standpunkt. Er bezweifelt, dass sich die Bewegung weiter radikalisiert, da ihr dies auch nichts nütze. «Eine Radikalisierung im Sinne eines Einsatzes stärkerer und gewaltsamerer Mittel würde es dem politischen Gegner inhaltlich leichter machen, die Gruppe grundlegend zu diffamieren», sagt Volk.
Gegner der Aktivisten werden immer radikaler
Michal Brüggeman sieht derweil eine Radikalisierung, allerdings nicht bei der Klimabewegung. Er forscht an der Universität Hamburg zu Klimakommunikation und wertet für eine Studie den Twitterdiskurs zur Letzten Generation aus.
Die sprachliche Radikalisierung gehe eher von der Politik aus, wie er gegenüber der «Zeit» darlegt. «Wer hier polarisiert und extrem ist, wer ausfällig wird, das sind, neben anderen Stimmen, konservative Politiker», sagt er.
Die Wortwahl sei extrem, so Brüggemann. Als Beispiel nennt er die deutsche Polizeigewerkschaft, die Blockaden der Letzten Generation schon als – Zitat – «Strassenterror» bezeichnete.
Die Politik sehe sich laut Protestforscher Volk immer stärker zum Handeln gezwungen. «Sie kann die Letzte Generation nicht einfach aussitzen.» Dabei gibt es ihm zufolge zwei Wege: den des Dialogs und den der Repression. Die bayrischen Behörden haben sich mit dem Vorwurf der kriminellen Vereinigung samt Hausdurchsuchungen klar für letzteres entschieden.