Deutsche Wirtschaft arbeitet sich aus dem Corona-Tief
Europas grösste Volkswirtschaft ist auf den Wachstumskurs zurückgekehrt. Doch der Anstieg des Bruttoinlandsproduktes im Sommer gegenüber dem Vorquartal ist nur eine Momentaufnahme.
Das Wichtigste in Kürze
- Die deutsche Wirtschaft meldet sich nach dem coronabedingten Absturz im Frühjahr wieder zurück.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Zeitraum Juli bis September gegenüber dem Vorquartal kräftig um 8,2 Prozent.
Damit ist Europas grösste Volkswirtschaft allerdings noch nicht über den Berg. Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet in seiner aktuellen Prognose im Gesamtjahr mit einem Einbruch der Wirtschaftsleistung von 5,5 Prozent. Trotz des Teil-Lockdowns im November hob das Ministerium seine Prognose damit leicht an.
Wirtschaftsverbände sehen weiter grosse Risiken für die Konjunktur in Deutschland. Mit Blick auf das starke Wachstum im dritten Quartal und die Herbstprognose der Bundesregierung sagte der Hauptgeschäftsführer des Industrieverbandes BDI, Joachim Lang, die deutsche Wirtschaft sei noch lange nicht über den Berg. Die Konjunktur komme in diesem Jahr mit einem blauen Auge davon. Weitaus grössere Gefahren für das Wachstum drohten im Aussenhandel. Die Exportaussichten hätten sich nach einem starken Sommer im Oktober bereits wieder eingetrübt, sagte Lang am Freitag in Berlin.
Die wirtschaftliche Erholung des dritten Quartals werde sich in den kommenden Quartalen so nicht fortsetzen. «Die stark vernetzte deutsche Wirtschaft lässt sich nicht wie eine Insel abschotten, denn das Virus wird immer wieder zurückkommen.»
Das Ifo-Institut erwartet einen deutlichen Dämpfer für die wirtschaftliche Erholung durch die neuen Corona-Massnahmen. «Die Ausgaben für Dienstleistungen des "sozialen Konsums" werden kräftig einbrechen», sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser am Freitag. «Damit setzen die beschlossenen Massnahmen der kräftigen Erholung vom Sommer ein abruptes Ende.»
Überschlagsrechnungen des Ifo zufolge dürften die Massnahmen einen Ausfall bei der gesamtwirtschaftlichen Produktion von etwas mehr als 10 Milliarden Euro zur Folge haben. Dabei gehen sie davon aus, dass die Umsätze bereits im Oktober gesunken sind und sich im Dezember langsam erholen werden.
Ein Blick auf den Jahresvergleich zeigt die massiven Spuren, die die Corona-Krise bislang hinterlassen hat. Gegenüber dem dritten Quartal 2019 sowie dem letzten Vierteljahr 2019 brach die Wirtschaftsleistung im Zeitraum Juli bis September 2020 um jeweils gut 4 Prozent ein.
Getragen wurde das Wachstum im dritten Quartal gegenüber dem Vorquartal den Angaben zufolge von höheren privaten Konsumausgaben und stark gestiegenen Exporten. Zudem investierten Unternehmen mehr in Maschinen und andere in Ausrüstungen.
Im zweiten Vierteljahr war das BIP dramatisch um 9,8 Prozent eingebrochen, nachdem das öffentliche Leben coronabedingt in weiten Teilen heruntergefahren worden war. Bereits zum Jahresanfang war die Wirtschaftsleistung in Europas grösste Volkswirtschaft gegenüber dem Vorquartal gesunken.
Das Tempo der Erholung hatte zuletzt allerdings nachgelassen. Steigende Corona-Neuinfektionen und der jüngst beschlossene Teil-Lockdown im November könnten den Aufschwung Ökonomen zufolge zum Jahresende ausbremsen. Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, Gabriel Felbermayr, erwartet deutliche wirtschaftliche Einbussen für die deutsche Volkswirtschaft.
Die Schäden dürften zwar kleiner ausfallen als während des Lockdowns in den Monaten März und April. Allerdings werde das Wachstum im vierten Quartal gegenüber dem Vorquartal vermutlich zum Stillstand kommen. Die deutsche Industrie rechnet damit, dass die Beschränkungen die Wirtschaftsaktivität und Verbraucherstimmung im November stark beeinträchtigen werden.
Die Stimmung in den Unternehmen hatte sich bereits im Oktober wegen steigender Infektionszahlen eingetrübt. «Die Unternehmen blicken deutlich skeptischer auf die Entwicklung in den kommenden Monaten», stellte Ifo-Präsident Clemens Fuest jüngst fest. Auch die Kauflaune der Verbraucher erhielt einen Dämpfer. Der Optimismus sank nach Angaben des Nürnberger Konsumforschungsunternehmens GfK spürbar.
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sieht in der aktuellen Konjunkturprognose der Bundesregierung jedoch Grund für Zuversicht. «Wir stehen in diesem Jahr deutlich besser da als im Frühjahr befürchtet», sagte der Vizekanzler. Das gelte trotz der nun wieder notwendigen Kontaktbeschränkungen.
Anfang September hatte das Wirtschaftsministerium noch ein Minus von 5,8 Prozent für das Gesamtjahr vorhergesagt. Ende April war mit einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts von 6,3 Prozent gerechnet worden.