Kreml-Kritiker Nawalny sieht Putin hinter Nowitschok-Vergiftung
Der Kreml-Kritiker Nawalny steht nach der Gift-Attacke wieder auf beiden Füssen. Jetzt hat er Putin der Tat beschuldigt.
Das Wichtigste in Kürze
- Alexej Nawalny wurde am 20. August vergiftet.
- Jetzt hat der Kreml-Kritiker Putin der Tat beschuldigt.
- Russland weist die Vorwürfe zurück und bezeichnet sie als Beleidigung des Präsidenten.
Nach seiner Vergiftung hat der Kremlgegner Alexej Nawalny den russischen Präsidenten Wladimir Putin für die Tat persönlich verantwortlich gemacht. «Ich behaupte, dass Putin hinter der Tat steht, andere Tathergangs-Versionen habe ich nicht», sagte er dem Magazin «Der Spiegel». Nur die Chefs der Geheimdienste – Inlandsgemeindienst FSB, Militärgeheimdienst GRU und Auslandsgeheimdienst SWR – hätten Zugriff auf das Nervengift Nowitschok. Alle stünden unter Putins Befehl.
Kremlsprecher Dmitri Peskow sprach von «beleidigenden» Äusserungen gegen Putin, die «auch nicht hinnehmbar» seien. In Russland stehen Beleidigungen des Präsidenten unter Strafe. Zugleich bekräftigte Peskow, dass Russland interessiert sei an einer Aufklärung des Falls um den «Berliner Patienten». Der 44-Jährige macht in Berlin eine Reha-Massnahme, um nach Wochen im Koma wieder zu Kräften zu kommen.
Westen soll Nawalny vergiftet haben
Für Ermittlungen in Russland, seien Informationen jener Stellen nötig, die Spuren einer Vergiftung gefunden haben wollten, bekräftigte Peskow. Moskau fordert seit langem Beweise für einen Mordanschlag. Es bezweifelt, dass Nawalny tatsächlich vergiftet wurde und wirft dem Westen eine Inszenierung vor. Peskow lud Nawalny zur Rückkehr ein, um seine Genesung in Russland zu vollenden.
Nach Darstellung Peskows erhält Nawalny direkte Anweisungen des US-Geheimdiensts CIA. «Wahrscheinlich arbeitet nicht der Patient mit den westlichen Geheimdiensten zusammen, sondern die westlichen Geheimdienste arbeiten mit ihm.» Der Kreml hält es auch für möglich, dass westliche Geheimdienste Nawalny vergiftet haben. So könnten sie Russland an den Pranger stellen und mit Sanktionen zu belegen.
Neue Sanktionen wegen Nowitschok-Einsatz
Ähnlich hatte sich schon kurz nach Veröffentlichung des Interviews Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin, einer der engsten Vertrauten Putins, geäussert. Er meinte sogar in einer Stellungnahme auf der Internetseite: «Putin hat ihm das Leben gerettet.» Das konnte Peskow auf Nachfrage russischer Journalisten so nicht bestätigten. Wegen der CIA-Vorwürfe kündigte Nawalny prompt an, Peskow zu verklagen.
Der Oppositionelle war am 20. August während eines Inlandsflugs in Russland zusammengebrochen. Nach einer Notlandung in der sibirischen Stadt Omsk wurde er zur weiteren Behandlung nach Berlin gebracht. Wochenlang lag er dort im künstlichen Koma.
Nach dem Befund eines Bundeswehr-Speziallabors wurde er mit einem Nowitschok-Kampfstoff vergiftet. Das bestätigten auch Labors in Frankreich und Schweden. Mit Spannung werden nun die Untersuchungsergebnisse der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) erwartet. Wenn sich alles bestätigt, drohen Russland neue Sanktionen.
Russland will Fall selbst untersuchen
Zu der international diskutierten Frage neuer Sanktionen gegen Russland wegen des Einsatzes verbotener Chemiewaffen äusserte sich auch Nawalny. Jede Russland-Strategie müsse «das Stadium des Wahnsinns in den Blick nehmen, das Putin erreicht hat». In der Debatte um einen Baustopp für die Ostseepipeline Nord Stream 2 überlasse er die Entscheidung der deutschen Politik.
Zu dem Attentat Ende August sagte Nawalny: «Du fühlst keinen Schmerz, aber Du weisst, Du stirbst.» Russland fordert weiterhin Beweise oder Biomaterial Nawalnys für eigene Untersuchungen. Laut dem Kremlgegner sollte in der Klinik in Omsk jedoch ausreichend Blut von ihm entnommen worden sein.
In dem Krankenhaus war er nach einer Zwischenlandung notärztlich versorgt worden. Die Ärzte fanden nach damaliger Darstellung kein Gift. Sie sprachen lediglich von einer Stoffwechselstörung.
Nawalny will zurück nach Russland
Wie der «Spiegel» berichtete, kündigte der Putin-Gegner bei einem zweistündigen Redaktionsbesuch in Berlin am Mittwoch auch an, nach Russland zurückzukehren. «Meine Aufgabe ist jetzt, der Typ zu bleiben, der keine Angst hat. Und ich habe keine Angst!» Er werde Putin nicht das Geschenk machen, sich aus dem Kampf zu verabschieden.
Der Fall hat die Spannungen in den deutsch-russischen Beziehungen noch einmal verschärft. Kanzlerin Angela Merkel, die Nawalny in der Klinik besucht hatte, forderte Russland zur Aufklärung auf. Besonders verärgert reagierte Russland auf Aussenminister Heiko Maas. Dieser hatte diese Woche in einer Videobotschaft vor der UN-Vollversammlung gesagt, der Fall könne nicht folgenlos bleiben.
Russland sieht Beziehung in Gefahr
Das russische Aussenministerium warf Maas eine «feindliche antirussische Linie» vor. Die Äusserungen seien besonders zynisch, weil die deutsche Seite russische Rechtshilfegesuche und Angebote der Zusammenarbeit ignoriere. Es gebe die Gefahr eines Abbruchs der Beziehungen.
Russland sehe es als unmöglich an, mit dem Westen noch irgendetwas zu tun zu haben. Die Aussage begründeten sie mit dem «Verhalten Deutschlands und seiner Verbündeten in der EU und NATO.» Zuvor müsse Maas die Methoden der Provokation einstellen und damit beginnt, sich ehrlich und verantwortlich aufzuführen.»
Aussenminister Sergej Lawrow warf Berlin vor, nur noch in einer Sprache der Vorwürfe, Drohungen und Ultimaten mit Moskau zu sprechen. Dabei gerieten die historischen Beziehungen beider Länder aus dem Blick, meinte er anlässlich des geschichtlichen Diskussionsforums «Wegmarken der deutsch-sowjetischen Beziehungen». Noch aber gebe es die Chance, das Verhältnis zu retten.