Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage
Bei den UN warnt Selenskyj eindringlich vor Russlands Machtstreben. Nun reist er weiter nach Washington – doch die Lage im Kongress ist seit seinem letzten Besuch eine andere. Die News im Überblick.
Das Wichtigste in Kürze
- Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj legt nach der UN-Generaldebatte in New York einen Stopp bei seinem wichtigsten Verbündeten in Washington ein.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj legt nach der UN-Generaldebatte in New York einen Stopp bei seinem wichtigsten Verbündeten in Washington ein.
In der US-Hauptstadt will er heute Nachmittag (Ortszeit) mit Präsident Joe Biden, Verteidigungsminister Lloyd Austin und Mitgliedern des Kongresses zusammenkommen, um für weitere Unterstützung im Abwehrkampf gegen die russischen Invasoren zu werben. Selenskyj dürfte mit einigen konkreten Wünschen zu militärischer Ausrüstung anreisen.
Unter anderem geht es um die ukrainische Forderung nach Raketen des Typs ATACMS. Dabei handelt es sich um eine Marschflugkörper-Variante mit bis zu 300 Kilometern Reichweite. Die Raketen werden vom Boden aus gegen Ziele am Boden abgefeuert. In einem Interview des US-Fernsehsenders CNN am Rande der UN-Generaldebatte in New York hatte Selenskyj seinen Wunsch nach dem Waffensystem erneuert. Sein Land plane nicht, damit Moskau oder andere Ziele auf russischem Boden anzugreifen, betonte er.
US-Regierung hält sich bedeckt
Die US-Regierung hält eine Lieferung solcher Marschflugkörper für möglich, hat nach Angaben aus dem Weissen Haus aber noch keine Entscheidung dazu getroffen. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, Kirby sagte gestern: «Die ATACMS sind nicht vom Tisch.» Es liefen noch Diskussionen über das Waffensystem, «aber es wurde noch keine Entscheidung getroffen».
Von Deutschland erbittet die Ukraine ein ähnliches Waffensystem, nämlich Marschflugkörper vom Typ Taurus. Sie sind für die Zerstörung von Bunkern und geschützten Gefechtsständen in bis zu 500 Kilometer Entfernung geeignet. Wegen der relativ hohen Reichweite der Waffensysteme besteht jedoch die Sorge, dass damit auch Ziele in Russland angegriffen werden könnten – und der Konflikt damit in einen Weltkrieg mündet.
Besuch unter anderen Vorzeichen
Ende Dezember war der ukrainische Präsident schon einmal in Washington zu Gast gewesen. Damals wurde er wie ein Held empfangen, sprach unter dem Jubel von Abgeordneten und Senatoren vor beiden Kongresskammern und nahm ein grosses Militärpaket im Umfang von 1,85 Milliarden US-Dollar mit nach Hause – inklusive eines schlagkräftigen Patriot-Luftabwehrsystems. Seit Kriegsbeginn haben die USA nach eigenen Angaben militärische Hilfe im Umfang von mehr als 43 Milliarden US-Dollar für Kiew bereitgestellt – weit mehr als jedes andere Land. Hinzu kommen umfangreiche Wirtschaftshilfen.
Doch seit jenem Besuch kurz vor Weihnachten hat sich die politische Lage in Washington verändert. Die Republikaner haben seit Januar im US-Repräsentantenhaus das Sagen, und in ihren Reihen herrscht beträchtliche Skepsis, ob die USA weiter im grossen Stil Geld in einen Krieg pumpen sollten, dessen Ende nicht abzusehen ist. Medienberichten zufolge ist nun geplant, dass Selenskyj die Senatoren hinter verschlossenen Türen trifft. Für die Abgeordneten im Repräsentantenhaus ist ein Treffen in dieser Form hingegen nicht geplant. Auf der Agenda steht aber ein Gespräch mit dem republikanischen Vorsitzenden der Kammer, Kevin McCarthy.
Kein leichtes Spiel im Kongress
Selenskyj wird wohl wieder nicht mit leeren Händen aus den USA in die Heimat zurückreisen. Doch er dürfte im Kongress mehr Überzeugungsarbeit leisten müssen. Kirby betonte, Selenskyj sei der «beste Gesandte», um Senatoren und Abgeordneten die Lage in seinem Land deutlich zu machen. Je näher das Jahresende rücke und je schlechter das Wetter werde, umso schwieriger würden Militäroperationen am Boden und in der Luft. Es sei daher dringend nötig, dass der Kongress weitere Finanzhilfen für die Ukraine bewillige.
Selenskyj will Danke sagen
Angesichts der zunehmenden Kriegsmüdigkeit in den USA und in anderen Teilen der Welt schlug Selenskyj zuletzt weniger forsche Töne an als in den ersten Monaten des Krieges. Mit Blick auf seinen Wunsch nach ATACMS sagte er im CNN-Interview, er sei nicht in die USA gekommen, um mehr zu verlangen, sondern um Danke zu sagen für alles, was die Vereinigten Staaten und andere bereits geleistet hätten. «Sie haben uns in dieser schwierigen Zeit so sehr unterstützt.»
Selenskyj dürfte in Washington auch seine Warnung wiederholen, die er diese Woche als zentrale Botschaft an die Vereinten Nationen in New York gerichtet hatte: Wenn Russland sich gewaltsam die Ukraine einverleibt, wer ist dann als nächstes dran? Eindringlich mahnte der 45-Jährige, die russische Aggression sei eine Bedrohung für die ganze Welt.
Ukrainische Armee meldet Abwehr russischer Vorstösse
Während Selenskyjs Besuch in den USA geht der Krieg in der Ukraine weiter. Die ukrainische Armee hat gab gestern Abend an, Vorstösse der russischen Besatzungstruppen an zwei wichtigen Abschnitten der Front abgewehrt zu haben. Russische Einheiten hätten versucht, das vergangene Woche verlorene Dorf Andrijiwka bei Bachmut im Donbass zurückzuerobern. Dies sei ihnen aber nicht gelungen. Die Militärangaben liessen sich nicht ohne Weiteres unabhängig überprüfen.
Als ein Mittel gegen Korruption in der Ukraine müssen Politiker und ranghohe Staatsdiener ab sofort ihre Vermögensverhältnisse wieder digital offenlegen. Das beschloss das ukrainische Parlament in Kiew. Damit korrigierte es unter Druck der Zivilgesellschaft die eigene Entscheidung von vergangener Woche.