Krieg in der Ukraine: Das ist die Lage am Sonntag
Kein Strom, keine Heizung, viele Tote: Die Not ist gross in der belagerten Stadt Mariupol in der Ostukraine. Doch das ist nur ein Brennpunkt in diesem Krieg.
Das Wichtigste in Kürze
- Im Ukraine-Krieg hat die von Russland belagerte Stadt Mariupol erneut versucht, Zivilisten über einen humanitären Korridor in Sicherheit zu bringen.
Doch die Evakuierung scheitert. Wie ist die Lage im Land am Sonntag?
Die Menschen in Mariupol lebten in Schrecken und suchten verzweifelt nach Sicherheit, schrieb das Rote Kreuz auf Twitter. In der südukrainischen Stadt sitzen die Menschen nach ukrainischer Darstellung schon seit Tagen ohne Strom und Heizung, es soll viele Tote und Tausende Verletzte geben. Mehr als eine Woche nach Kriegsbeginn hatten Russland und die Ukraine am Samstag eine zeitweilige Waffenruhe für die Hafenstadt und eine Kleinstadt in der Umgebung vereinbart, um Menschen fliehen zu lassen - die Feuerpause wurde gebrochen, eine Evakuierung scheiterte nun bereits zum zweiten Mal.
Mariupols Bürgermeister Wadym Boitschenko sprach danach im ukrainischen Fernsehen von einer «humanitären Blockade» durch russische Einheiten. Er flehe um die Errichtung eines Korridors, um Ältere, Frauen und Kinder aus der Stadt mit rund 440.000 Einwohnern zu bringen.
Flughafen in Winnyzja zerstört
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beschuldigt russische Truppen, einen Flughafen im westukrainischen Gebiet Winnyzja zerstört zu haben. «Ich wurde gerade über einen Raketenangriff auf Winnyzja informiert: acht Raketen», sagte Selenskyj in einem Video, das am Sonntag auf seinem Telegram-Kanal veröffentlicht wurde. «Unser friedliches Winnyzja hat Russland nie in irgendeiner Weise bedroht. Der Raketenangriff ist hart, zynisch, der Flughafen ist vollständig zerstört.» Später am Tag hiess es aus dem russischen Verteidigungsministerium: «Am 6. März wurde der Flugplatz der ukrainischen Luftwaffe in Winnyzja mit Langstrecken-Präzisionswaffen ausser Gefecht gesetzt.»
In der ostukrainischen Grossstadt Charkiw ist nach ukrainischen Angaben der Fernsehturm bei einem russischen Angriff beschädigt worden. Die Fernsehübertragung sei vorübergehend ausgefallen, sagte der Chef der regionalen Militärverwaltung, Oleh Synjehubow, am Sonntagabend nach Angaben der Agentur Unian. Spezialisten seien bereits dabei, die Schäden zu beheben, sagte Synjehubow. Von russischer Seite gab es dafür zunächst keine Bestätigung.
Nach Angaben des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU wurde in Charkiw zudem ein Forschungszentrum mit Grad-Raketenwerfern beschossen. Ein Treffer in der Forschungsanlage, in der sich demnach 37 atomare Brennelemente befinden, hätte im schlimmsten Fall eine Umweltkatastrophe auslösen können, warnte die Behörde. Auch für diese Schilderungen gab es zunächst keine unabhängige Bestätigung.
«New York Times
Der Generalstab in Kiew sieht den Hauptfokus der russischen Angreifer neben Mariupol weiter in der Umzingelung der Hauptstadt Kiew, der Millionenmetropole Charkiw im Osten und der Stadt Mykolajiw im Süden. Russische Einheiten versuchten, in die südwestlichen Aussenbezirke von Kiew einzudringen und näherten sich der Autobahn nach Boryspil, wo Kiews internationaler Flughafen liegt. Russland plane zudem die Einnahme des Wasserkraftwerks Kaniw rund 150 Kilometer südlich von Kiew am Fluss Dnipro.
Nach Angaben der «New York Times» haben russische Truppen beim Vormarsch auf die ukrainische Hauptstadt eine Brücke mit Mörsern beschossen und mindestens drei Angehörige einer Familie getötet. Die Toten seien ein Teenager, ein Mädchen im Alter von geschätzt acht Jahren und die Mutter.
Die «New York Times» schrieb, ukrainische Truppen hätten die Brücke gesprengt gehabt, um den russischen Vormarsch zu bremsen. Hunderte Flüchtlinge hätten sich seit Samstag an der beschädigten Brücke versammelt gehabt, um den Fluss Irpin zu überqueren. Am Sonntag hätten sich rund ein Dutzend ukrainische Soldaten in unmittelbarer Nähe der Brücke aufgehalten, die aber nicht gekämpft, sondern Zivilisten beim Tragen von Gepäck und Kindern geholfen hätten. Auf der Kiewer Seite der Brücke habe es einen etwa hundert Meter langen Strassenabschnitt gegeben. Um ihn zu bewältigen, hätten die Menschen kleine Gruppen gebildet und seien gemeinsam losgerannt.
UN: 364 Zivilisten getötet
Die Zahl der getöteten Zivilisten ist nach UN-Angaben auf 364 gestiegen. Wie das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) am Sonntag weiter mitteilte, wurden bisher 759 Zivilisten verletzt. Darunter waren auch mindestens 41 Kinder. Die meisten Opfer seien durch den Einsatz von Explosivwaffen mit weitem Wirkungsbereich verursacht worden, darunter Beschuss durch schwere Artillerie und durch Raketen. Die wahren Opferzahlen dürften laut OHCHR erheblich höher sein. Das Hochkommissariat gibt nur Todes- und Verletztenzahlen bekannt, die es selbst unabhängig überprüft hat.
Dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zufolge sind Hunderte russische Soldaten in Gefangenschaft seines Landes geraten. «Hunderte, Hunderte Gefangene. Unter ihnen sind Piloten von Flugzeugen, die unsere Städte bombardiert haben. Unsere Zivilisten», sagte Selenskyj in einer Videobotschaft, die er am Sonntag im Nachrichtenkanal Telegram veröffentlichte. Diese Aussagen liessen sich nicht unabhängig überprüfen.
Die amerikanische UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield sprach ebenfalls von hohen russischen Verlusten im Ukraine-Krieg. «Wir sehen, dass jeden Tag Hunderte von russischen Soldaten getötet werden», sagte Thomas-Greenfield am Sonntag dem US-Sender ABC. Kremlchef Wladimir Putin spüre die Folgen seines Handelns. Die Diplomatin sagte dabei nicht, wie viele Opfer es auf ukrainischer Seite nach Einschätzung der USA gibt.
Russland selbst hat erst am Mittwoch 498 getötete Soldaten in den eigenen Reihen bestätigt. Das ukrainische Militär hat bisher keine Angaben zu den eigenen Gesamtverlusten gemacht.
USA wollen Kriegsverbrechen dokumentieren
Die US-Regierung dokumentiert im Krieg in der Ukraine nach Angaben von US-Aussenminister Antony Blinken mögliche Kriegsverbrechen der russischen Seite. «Wir haben sehr glaubwürdige Berichte über vorsätzliche Angriffe auf Zivilisten erhalten, was ein Kriegsverbrechen darstellen würde», sagte Blinken am Sonntag dem Sender CNN. «Wir haben sehr glaubwürdige Berichte über den Einsatz von bestimmten Waffen gesehen. Und was wir im Moment tun, ist, all dies zu dokumentieren, alles zusammenzutragen, zu prüfen.» Man werde die Organisationen und Institutionen unterstützen, die untersuchten, ob Kriegsverbrechen begangen würden.
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat bereits offizielle Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in der von Russland angegriffenen Ukraine eingeleitet. Diese beziehen sich zunächst auf mögliche Verbrechen, die vor der Invasion Russlands begangen wurden, sollen aber nach Ansicht des Chefanklägers ausgeweitet werden.
Dritte Verhandlungsrunde am Montag
Nach anderthalb Wochen Krieg bereiten sich die Ukraine und Russland auf eine dritte Verhandlungsrunde vor. Zuletzt hiess es von beiden Seiten, dass diese an diesem Montag beginnen könne. Uhrzeit und Ort waren zunächst nicht bekannt. Zuletzt hatte es zwei Treffen zwischen den beiden Delegationen im belarussischen Grenzgebiet gegeben. Vereinbart worden war dabei zuletzt eine Feuerpause für die Gebiete Mariupol und Wolnowacha, um Zivilsten über humanitäre Korridore zu evakuieren. Diese Mission scheiterte am Sonntag allerdings erneut. Russland und die Ukraine werfen sich gegenseitig vor, die Feuerpause nicht einzuhalten.
Der ukrainische Unterhändler in den Verhandlungen mit Russland, David Arachamija, wies unterdessen Kernforderungen der Gegenseite als «nicht akzeptabel» zurück. «Ich würde nicht sagen, dass wir schnell vorankommen, denn es werden jeden Tag viele Menschen getötet, besonders Zivilisten», sagte Arachamija in einem Interview des US-amerikanischen Senders Fox News, das in der Nacht zum Sonntag veröffentlicht wurde. «Es ist ehrlich gesagt schwer, aber wir machen dennoch einige Fortschritte. Immerhin hören sich zwei Gruppen gegenseitig zu und diskutieren aktiv verschiedene Dinge.»
Arachamija fuhr fort: «Die einzigen Teile, bei denen eine Einigung fast unmöglich ist, sind die Krim und die sogenannten Republiken, bei denen Russland darauf besteht, dass wir sie als unabhängig anerkennen. Das ist innerhalb der ukrainischen Gesellschaft nicht akzeptabel.» Russland will, dass die 2014 annektierte ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim als Teil Russlands und die ostukrainischen Separatistengebiete Donezk znd Luhansk als souveräne Staaten anerkannt werden. Zudem will der Kreml eine komplette «Demilitarisierung» der Ukraine.