Nordirland-Streit mit EU: London fordert «gesunden Menschenverstand»
Vor neuen Beratungen über Brexit-Regeln für Nordirland hat der britische Minister David Frost die Europäische Union zu «Pragmatismus und gesundem Menschenverstand» aufgerufen.
Das Wichtigste in Kürze
- Die EU und Grossbritannien treffen sich zu neuen Gesprächen zum Nordirland-Protokoll.
- Der britische Minister David Frost fordert von der EU «gesunden Menschenverstand».
Beide Seiten machen sich gegenseitig Vorwürfe, dass es bei der Umsetzung der im Brexit-Vertrag vereinbarten Sonderregeln hakt. Frost warnte Brüssel, Drohungen mit Handelskrieg und rechtlichen Schritten würden Menschen und Unternehmen in Nordirland, die mit den «schädigenden Auswirkungen» des Abkommens kämpften, nicht helfen.
Die Europäische Union wirft Grossbritannien jedoch vor, vertragliche Vereinbarungen nicht einzuhalten. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen schrieb am Dienstagabend auf Twitter, sie habe in einem Telefonat mit Premier Boris Johnson ihre «tiefe Sorge» über die Umsetzung der Brexit-Verträge ausgedrückt. Darüber werde sie mit Johnson auch am Rande des G7-Gipfels am Wochenende sprechen.
Frost trifft sich bereits an diesem Mittwoch in London mit EU-Kommissionsvizepräsident Maros Sefcovic. Im Mittelpunkt der Gespräche steht das sogenannte Nordirland-Protokoll.
Das Nordirland-Protokoll erklärt
Mit dem Nordirland-Protokoll soll eine «harte» Grenze zum EU-Mitglied Irland vermieden werden, um nicht neue Spannungen in der ehemaligen Bürgerkriegsregion zu provozieren.
Allerdings ist dadurch de facto eine Zollgrenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs entstanden. Lieferprobleme und leere Regale in Nordirland waren die Folge. Es kam zu Ausschreitungen meist protestantischer Anhänger der Union mit Grossbritannien.
Die Regierung in London schliesst weitere einseitige Aktionen nicht aus. So steht im Raum, dass Grossbritannien eine am 30. Juni endende Übergangsphase verlängert, in der Kontrollen von Fleischprodukten wie Würstchen und Hühnerschlegeln aus Grossbritannien ausgesetzt sind.
Britische Medien warnten bereits vor einem «Würstchenkrieg». Sefcovic hatte betont, die EU werde «schnell, energisch und entschlossen» handeln, falls Grossbritannien seinen Verpflichtungen nicht nachkommt.
Zeit für «praktische Lösung» läuft aus
Frost sagte nun, die Zeit für «praktische Lösungen» laufe aus. «Britische Unternehmen entscheiden sich aufgrund des lästigen Papierkrams dafür, ihre Waren nicht nach Nordirland zu verkaufen, Arzneimittelhersteller drohen, lebenswichtige Vorräte zu kürzen, und gekühltes Fleisch britischer Landwirte, das für den nordirischen Markt bestimmt ist, läuft Gefahr, ganz verboten zu werden.» Weitere Drohungen der EU machten das Leben der Nordiren schwieriger.
Grossbritannien hatte das Brexit-Protokoll ausgehandelt und unterzeichnet. Johnson liess nach seinem Telefonat mit von der Leyen am Dienstag erklären, Grossbritannien strebe praktische Lösungen an, um den Friedensprozess in Nordirland zu schützen und Auswirkungen auf das Leben der Menschen in Nordirland zu minimieren. Wichtig sei rascher Fortschritt.
Zuvor hatte ein britischer Regierungssprecher das Protokoll als «Kompromiss» bezeichnet. «Wir haben nicht erwartet, dass die EU bei der Umsetzung einen puristischen Ansatz verfolgt», sagte er. «Wir arbeiten sehr hart daran, diese Probleme einvernehmlich zu lösen.»