Wikipedia-Gründer: Medien-Krise bedroht Demokratie
Wikipedia-Gründer Jimmy Wales schlägt Alarm: Das Sterben lokaler Medien sei eine Gefahr für die Demokratie. Sein Gegenentwurf eines werbefreien Online-Netzwerks lockte inzwischen fast eine halbe Million Nutzer an.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Krise der Nachrichtenmedien und ihrer traditionellen Geschäftsmodelle bedroht nach Einschätzung von Wikipedia-Gründer Jimmy Wales die Demokratie.
Ihm mache vor allem das Sterben des Lokaljournalismus in den USA und anderen westlichen Ländern Sorgen.
Ohne die kontrollierende Funktion der Medien vor Ort gehe das Vertrauen in die demokratischen Institutionen verloren. Eine Folge sei die unmittelbare Zunahme von Korruption: «Wenn es keinen lokalen Journalismus mehr gibt, ist es gut, Schwager des Bürgermeisters zu sein und eine Baufirma zu haben», sagte Wales der Deutschen Presse-Agentur am Montag am Rande der Innovationskonferenz DLD in München. Die Zunahme sogenannter Nachrichten-Wüsten («news deserts»), in denen Verlage Lokalredaktionen schliessen und die Berichterstattung einstellen, werde auch für die Wikipedia zunehmend zu einem Problem - weil es dadurch weniger gesichertes Wissen gebe, auf das die Enzyklopädie verweisen kann. Wales, der ein Kritiker werbefinanzierter Geschäftsmodelle im Netz ist, lobte die Bemühungen von Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen weltweit, vorrangig ihre digitalen Aboerlöse zu steigern. Die Nachricht, dass die «New York Times» mittlerweile auf fünf Millionen zahlende Nutzer komme, sei ein Hoffnungszeichen für die gesamte Nachrichtenbranche. Diese Strategie dürfe aber nicht zu Gefälligkeitsjournalismus führen. Wenn die Abo-Zahlungen der Leser in Zukunft die einzige belastbare Einkommensquelle seien, steige die Gefahr, nur Inhalte zu produzieren, die ins Weltbild der Kunden passten. Unbequeme Wahrheiten, die auch für die politische Meinungsbildung wichtig seien, könnten es dann schwerer haben. Die Entwicklung belastbarerer Geschäftsmodelle für die Nachrichtenmedien sei dringlicher denn je. Nur dann sei es möglich, auch wieder Investoren zu gewinnen, die bereit seien, in journalistische Qualität zu investieren. Von öffentlichen Subventionen hält Wales dabei genauso wenig wie von philanthropischen Modellen. Am Ende sei es egal, ob die Bürger ihre Nachrichten vom Bürgermeister und aus dem Etat der lokalen Verwaltung bekämen oder vom «lokalen Milliardär», der die Zeitung kaufe. Beide Wege seien falsch. Wales berichtete, sein neues Online-Netzwerk WT.Social (WikiTribune Social) habe in weniger als drei Monaten fast eine halbe Million Nutzer gewonnen. Es sei «in seiner heutigen Form eher ein direkter Konkurrent für Twitter als für Facebook». Mit dem Netzwerk wolle er eine werbefreie Alternative zum auf Anzeigen basierenden Geschäftsmodell der heutigen Platzhirsche wie Facebook bieten, sagte Wales. Denn das fördere vor allem den Fokus, die Nutzer mit allen Mitteln auf der Plattform aktiv zu halten. Das würden auch Facebook und Co. zu spüren bekommen: «Wenn die Öffentlichkeit überzeugt ist, dass dein Geschäftsmodell die westliche Zivilisation zerstört, ist es ein langfristiges Problem für die Marke.» Die von ihm gegründete Online-Enzyklopädie Wikipedia sei gut durch die Flut von Falschnachrichten und Manipulationen in den vergangenen Jahren gekommen, sagte Wales. Dafür sorge die Skepsis der Wikipedia-Community.