Opposition in Belarus sagt Grosskundgebung ab
Im Machtapparat von Alexander Lukaschenko wächst vor der Präsidentenwahl die Nervosität. Eine bereits genehmigte Massenveranstaltung der Opposition wird in letzter Minute abgesagt. Die Behörden drohen offen mit Gewalt.
Das Wichtigste in Kürze
- In Belarus (Weissrussland) hat die Opposition eine für Donnerstagabend geplante Grosskundgebung gegen Staatschef Alexander Lukaschenko kurzfristig abgesagt.
Die Veranstaltung samt Konzert in der Hauptstadt Minsk vor der Wahl an diesem Sonntag sei verboten worden, teilte Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja mit ihren Mitstreiterinnen bei Facebook mit. Die Behörden begründeten die Absage der Wahlveranstaltung im Park der Völkerfreundschaft mit einem Fest des Verteidigungsministeriums.
Die drei Frauen stehen für die Opposition gegen Lukaschenko, der als «letzter Diktator Europas» gilt - und am 9. August für seine sechste Amtszeit gewählt werden will. Statt der Grosskundgebung wollten Tichanowskaja und ihre Mitstreiterinnen Veronika Zepkalo und Maria Kolesnikowa am Abend den Tag der Offenen Tür in einem Bildungszentrum besuchen, wie sie mitteilten.
Das Innenministerium kündigte an, notfalls mit Gewalt gegen nicht genehmigte Massenveranstaltungen vorzugehen. «Wir werden kein Chaos zulassen», sagte Vize-Innenminister Alexander Barssukow im Staatsfernsehen. Die Frauen kritisierten, dass ihnen sonst kein Platz für den Wahlkampf zur Verfügung gestellt werde. In der Ex-Sowjetrepublik hatten Gegner des 65-jährigen Lukaschenko noch nie einen solchen Zulauf wie diesmal.
Die 37-jährige Tichanowskaja ist als einzige Kandidatin der Opposition zur Wahl zugelassen. Sie kämpft für ihren Mann Sergej Tichanowski, einen populärer Blogger, der als Kritiker Lukaschenkos frühzeitig inhaftiert wurde. Unterstützt wird sie von der Ehefrau des nicht zugelassenen Präsidentschaftskandidaten Waleri Zepkalo, der nach Russland geflüchtet ist. Kolesnikowa leitete den Wahlkampfstab des ebenfalls nicht zugelassenen Bewerbers Viktor Babariko, der auch im Gefängnis sitzt. Die Verfahren gelten als politisch motiviert.
Die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisierte in einer Mitteilung eine massive Behinderung der freien Berichterstattung über den Wahlkampf. Dutzende Journalisten seien in den vergangenen Wochen festgenommen worden. Die Menschenrechtsorganisation Wesna zählte insgesamt mehr als 1300 Festnahmen, darunter viele Jugendliche.
Experten sehen nach 26 Jahren mit Lukaschenko an der Macht eine grosse Müdigkeit in der Bevölkerung mit dem politischen Leben ohne Fortschritt. Sie registrieren eine wachsende Unzufriedenheit mit der Armut in dem von Russland wirtschaftlich abhängigen Land. Auch die Corona-Pandemie, die Lukaschenko kleinredet, befeuerte zuletzt die Wechselstimmung in dem Land zwischen dem EU-Mitglied Polen und Russland.
Der Staatschef hatte zuletzt vor einer Revolution in Belarus gewarnt und damit gedroht, jeden Versuch von Unruhen niederzuschlagen. Lukaschenko spricht seit Tagen von einem Krieg gegen sein Land. Als Beweis präsentiert er die Festnahme Dutzender mutmasslicher Söldner in Minsk, die nach seinen Angaben Unruhen stiften wollten. Es handelt sich um russische und ukrainische Staatsbürger. Einige hätten auch US-Pässe, sagte Lukaschenko. Die Ukraine beantragte die Auslieferung von 28 Männern. Russland wies die Vorwürfe zurück, Söldner in das Nachbarland geschickt zu haben.