Politisches Experiment in Thüringen?
Dilemma in Thüringen: Eine stabile Mehrheit jenseits der AfD hätte nur eine Koalition der Linken mit der CDU. Doch dafür müssten politische Mauern fallen. Rot-Rot-Grün baut an einer Minderheitsregierung - und CDU und FDP sollen nun mithelfen.
Das Wichtigste in Kürze
- Elf Wochen nach der Thüringer Landtagswahl ist es so weit: Das rot-rot-grüne Bündnis von Linke-Ministerpräsident Bodo Ramelow trifft sich an diesem Montag erstmals offiziell mit CDU und FDP.
Der Grund: Rot-Rot-Grün hat keine Mehrheit mehr im Landtag und riskiert eine Minderheitsregierung ohne Netz und doppelten Boden. Oder gibt es doch noch irgendeine Form von Unterstützung - als Allianz gegen eine starke AfD?
Wie ist die Situation nach der Landtagswahl, die erstmals von der Linken gewonnen wurde?
Schwierig. Linke, SPD und Grüne sind auf dem Weg zu einer Minderheitsregierung, ihnen fehlen vier Stimmen im Parlament in Erfurt. Ihr Regierungsprogramm werde voraussichtlich an diesem Mittwoch fertig sein, hat Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow angekündigt. Fraglich ist nur, wie all die Projekte - drittes gebührenfreies Kita-Jahr, mehr Lehrer und Polizisten - ohne Mehrheit im Landtag umgesetzt werden sollen.
Gibt es keine Partei, die Rot-Rot-Grün zumindest toleriert?
CDU-Partei- und Fraktionschef Mike Mohring hatte nach der Landtagswahl zwar kurz in Richtung Ramelow geblinkt, wurde aber umgehend von der Bundespartei und dann auch seinem Landesvorstand gestoppt. Danach hiess es bei der CDU nur noch: Keine Zusammenarbeit mit der Linken - weder in einer Regierung noch durch eine Tolerierung von Rot-Rot-Grün. Auch die FDP, der knapp der Einzug ins Parlament gelang, machte die Schotten dicht.
Nun ist doch von einer Projektregierung Linke/CDU die Rede.
Ja, kurz vor Ultimo hat sich die CDU von ihrem Ex-Ministerpräsidenten Dieter Althaus den Vorschlag einer Projektregierung mit der Linken auf den Tisch legen lassen. Das wäre ebenso wie eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung ohne Tolerierungspartner ein politisches Novum in Deutschland und ein Tabubruch. 2018 hat ein CDU-Bundesparteitag beschlossen: keine Zusammenarbeit mit der Linken oder der AfD.
Spielt das CDU-Modell beim ersten offiziellen Treffen von Rot-Rot-Grün mit CDU und FDP als mögliche Regierungsalternative eine Rolle?
Offiziell nicht, aber es wird sicher diskutiert. Ramelow sagte, er kenne den Projektregierungsvorschlag bisher nur aus den Medien. Ob die CDU konkreter wird, ist offen. Sie will erst Mitte der Woche in einer Klausur klären, ob der Vorschlag in ihren eigenen Reihen mehrheitsfähig ist und dann offiziell der Linken unterbreitet wird. CDU-Generalsekretär Raymond Walk sagte zu dem Modell: «Ich könnte mir das so vorstellen, dass die Regierung durch verschiedene Projekte zusammengehalten wird. Dabei wäre dann aber jeder autark für seine jeweiligen Projekte zuständig.» Linke-Chefin Hennig-Wellsow hat bereits recht direkt reagiert: «Die CDU kommt mit ihrem Denkprozess zu spät.»
Worum geht es dann bei dem Treffen?
Vor allem um den Versuch von Rot-Rot-Grün, doch noch eine auf konkrete Vorhaben bezogene Zusammenarbeit mit CDU und FDP im Landtag hinzubekommen. «Es ist Zeit, mehr Demokratie zu wagen und weniger Parteibuch», verlangt Ramelow seit Wochen. Die Erwartungen an das Treffen sind nicht sehr hoch. Er gehe von einer Zusammenarbeit mit CDU und FDP «unterhalb einer Tolerierung» aus, sagte SPD-Landeschef Wolfgang Tiefensee. Rot-Rot-Grün fürchte eine «destruktive Oppositionsmehrheit», wie es Grünen-Umweltministerin Anja Siegesmund ausdrückt.
Könnte es doch noch Bewegung geben?
Ja. Manche sehen in dem CDU-Vorschlag einer Projektregierung, auch wenn er sehr spät kommt, ein Indiz dafür. Auch die Lage der CDU ist eher misslich. Althaus sprach davon, seine Partei sei zur Fundamentalopposition und damit zum politischen Zuschauen verdammt. Auch das Gefühl, die CDU sei in der Opposition neben der AfD gefangen, behagt vielen in der Partei nicht. Es gibt Stimmen, nicht nur von Ex-Bundespräsident Joachim Gauck, für ein Zugehen auf die Partei von Ramelow. Der gebürtige Niedersachse gilt manchen eher als linker Sozialdemokrat.
Wie bewerten Beobachter die Situation?
Politikwissenschaftler sprechen von einer Konstellation, die neue Wege erfordere. «Das können - wie in Österreich - Koalitionen der gelebten und vereinbarten Differenz ebenso sein wie Minderheitsregierungen, die ad hoc und punktuell projektbezogen Mehrheiten erarbeiten», sagte der Parteienforscher Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen jetzt der «Neuen Osnabrücker Zeitung». Der Jenaer Parteienforscher Torsten Oppelland vertrat bereits nach der Landtagswahl die Meinung, eine Minderheitsregierung brauche eine halbwegs verlässliche Zusage, dass zumindest ein Teil ihrer Projekte unterstützt werde.
Welche Rolle spielten Minderheitsregierungen bisher?
Es gab sie immer wieder, oft aber nur als Übergangslösung. Länger bestand eine in den 1990er Jahren in Sachsen-Anhalt, zeitlich begrenzt tauchten sie unter anderem in Berlin, Brandenburg, Hessen oder Niedersachsen auf. In Nordrhein-Westfalen bildeten SPD und Grüne nach der Landtagswahl 2010 aus der Opposition heraus eine Minderheitsregierung. Hannelore Kraft (SPD) wurde zur Ministerpräsidentin gewählt, weil sich die Linke bei der Abstimmung im Landtag enthielt.