Corona-Krisenpaket für Wirtschaft geschnürt
Das Wichtigste in Kürze
- Kein Problem, die Kanzlerin habe er ja an der Stimme erkannt, scherzt Vizekanzler Olaf Scholz nach der Sitzung des Bundeskabinetts.
Dann hält der SPD-Finanzminister strahlend einen dicken Batzen Papier hoch.
Das ist es, das Mega-Paket, das die Auswirkungen der Corona-Pandemie in Gesellschaft und Wirtschaft abfedern soll. Als das Kabinett die Notregelungen beschloss, musste Kanzlerin Angela Merkel (CDU) per Telefon zugeschaltet werden - wegen Kontakts mit einem Corona-Infizierten ist sie in ihrer Berliner Privatwohnung in Quarantäne.
Jetzt arbeitet also auch die Kanzlerin im Homeoffice - genau wie Millionen Bürger in Deutschland, für die seit Montag strenge Kontaktbeschränkungen gelten. Nicht alle sind dabei so gut gelaunt wie der Vizekanzler, der sich in seiner Rolle als Rettungspaket-Schnürer sichtlich gefällt. Ob bei Eltern, Beschäftigten oder Selbstständigen - die Corona-Epidemie verursacht Existenzängste. Die Wirtschaft steht vor einem massiven Abschwung. Bedroht sind Konzerne und Kleinunternehmen. Der Staat spannt deshalb mit einem beispiellosen Gesetzespaket Rettungs- und Schutzschirme auf:
Was soll gegen Massenarbeitslosigkeit helfen?
Das bewährte Mittel aus der Finanzkrise 2008/2009: Kurzarbeit. Wenn es nichts mehr zu arbeiten gibt, kann ein Unternehmen die Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken - die Bundesagentur für Arbeit übernimmt 60 Prozent des Lohns, bei Menschen mit Kindern 67 Prozent. Die Unternehmen bekommen Sozialbeiträge erstattet. Kurzarbeitergeld kann künftig fliessen, wenn nur zehn Prozent der Beschäftigten vom Arbeitsausfall betroffen sind - statt wie bisher ein Drittel. Auch Zeitarbeitsunternehmen können die Leistung anzeigen.
Wie viele Menschen werden davon betroffen sein?
Die Regierung geht von 2,15 Millionen Fällen von konjunkturellem Kurzarbeitergeld aus - Kostenpunkt: 10,05 Milliarden Euro. In einigen Branchen wie der Metall- und Elektroindustrie und der Systemgastronomie stocken die Unternehmen das Kurzarbeitergeld auf. Die Gewerkschaften fordern das vehement für alle.
Wie wird kleinen Firmen geholfen?
Ganz kleine Firmen und Selbstständige, Musiker, Fotografen, Heilpraktiker oder Pfleger, die gerade kaum Kredite bekommen, können direkte Finanzspritzen erhalten. Je nach Unternehmensgrösse sind das für drei Monate 9000 bis 15 000 Euro. Das Geld solle schnell ankommen, versicherte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Schon Anfang kommender Woche könne es in den Bundesländern sein. Um es zu bekommen, müssen die Betroffenen nur versichern, dass sie durch Corona einen Liquiditätsengpass haben.
Was ist mit grösseren Unternehmen?
Für mittelgrosse Firmen startete am Montag ein unbegrenztes Kreditprogramm über die staatliche Förderbank KfW. Grosse Unternehmen wie etwa die Lufthansa sollen notfalls auch durch Verstaatlichungen gerettet werden. Man wolle so wenig wie möglich eingreifen, aber «im Bedarfsfalle auch handeln», sagte Altmaier. Die Bundesregierung will den Firmen milliardenschwere Garantien geben und auch Schuldtitel übernehmen. Wenn die Krise vorbei ist, sollen sie wieder privatisiert werden. Die Firmen in Deutschland können zudem ihre Steuern später begleichen.
Wie teuer sind diese Rettungsmassnahmen?
Die Bundesregierung will dafür in diesem Jahr so viele Schulden aufnehmen wie nie. Das Finanzministerium rechnet mit Kosten für die Hilfsprogramme von 122,8 Milliarden Euro. Zugleich kommen wohl 33,5 Milliarden Euro weniger Steuern rein. Deshalb plant Minister Olaf Scholz (SPD) eine Neuverschuldung von 156,3 Milliarden Euro. Das sind ungefähr 100 Milliarden mehr als die Schuldenbremse im Grundgesetz erlaubt. Die Regelung soll deshalb am Mittwoch im Bundestag erst einmal ausser Kraft gesetzt werden.
Welche Hilfen gibt es für die Bürger?
Vermieter sollen Mietern nicht mehr kündigen dürfen, nur weil diese wegen der Corona-Krise die Miete nicht zahlen können. Gelten soll dies zunächst für Mietschulden aus dem Zeitraum vom 1. April bis 30. Juni 2020. Nachweisen soll man das nicht gross müssen: «Der Zusammenhang zwischen Covid-19-Pandemie und Nichtleistung wird vermutet», heisst es im Kabinettsbeschluss. Die Verpflichtung der Mieter zur Zahlung der Miete soll aber im Grundsatz bestehen bleiben.
Was soll im sozialen Bereich noch geschehen?
Bei Anträgen auf Hartz IV sollen die Vermögensprüfung und die Prüfung der Höhe der Wohnungsmiete für ein halbes Jahr ausgesetzt werden. Die Regierung rechnet damit, dass es bis zu 1,2 Millionen zusätzliche Grundsicherungsbezieher geben wird - und dadurch zehn Milliarden Euro Mehrkosten. Familien mit Einkommenseinbrüchen sollen leichter an den Kinderzuschlag kommen: Geprüft werden soll statt des Einkommens aus den letzten sechs Monaten nur das vom letzten Monat. Eltern mit wegbrechendem Einkommen wegen Kinderbetreuung sollen Hilfen bekommen.
Welche weiteren Neuregelungen wurden angestossen?
Beschlossen wurden eine ganze Reihe weiterer Schritte, etwa eine grosse Finanzspritze für die Krankenhäuser von mehr als drei Milliarden Euro. Der Bund bekommt mehr Kompetenzen beim Seuchenschutz, das Insolvenzrecht wird gelockert, so dass Firmen nicht so schnell pleite gehen. Für besonders wichtige Branchen gibt es auch Lockerungen beim Arbeitszeitgesetz.
Gilt das alles sofort?
Nein, aber so schnell wie möglich. Der Bundestag soll den Gesetzesänderungen am Mittwoch zustimmen, der Bundesrat kommt am Freitag zu einer Sondersitzung zusammen - wahrscheinlich im kleinen Kreis mit einem Kabinettsmitglied pro Land. Altmaier sagte, in grossen Notfällen könne aber auch schon vor Beginn der kommenden Woche Geld fliessen oder Banken könnten bereits Kredite vergeben.
Gibt es Kritik an den Plänen?
Reichlich - auch weil noch völlig unsicher ist, ob die Massnahmen ausreichen. Niemand weiss, wie lange das öffentliche Leben gelähmt ist und wie sehr die Unternehmen wirklich leiden. Ein Hauptkritikpunkt: Das Kurzarbeitergeld sei für Menschen mit geringen Einkommen zu wenig, sie kämen mit 60 Prozent ihres Gehalts nicht über die Runden. Viele soziale und kulturelle Einrichtungen fürchten zudem bundesweit das Aus. Grosse Sorgen machen sich Experten in der Krise um Menschen mit Behinderungen, Obdachlose, Arme oder auch Prostituierte.