Russische Politik übt Druck auf Frauen aus
Die russische Regierung will das Schrumpfen der Bevölkerung aufhalten. Deswegen greift sie zunehmend in das Privatleben der Bevölkerung ein.
Die russische Regierung verschärft ihren Fokus auf die «childfree»-Bewegung in einem Versuch, die sinkende Bevölkerungszahl des Landes zu erhöhen. «Childfree», ein Begriff, der seine Wurzeln im Westen hat, bezeichnet die bewusste Entscheidung von Menschen, kinderlos zu bleiben.
Regierungsbeamte sehen in dieser Idee ein Bedrohungspotenzial für die traditionellen Werte Russlands und die Stabilität der Gesellschaft. So hat es Walentina Matwijenko, die Vorsitzende des Oberhauses des russischen Parlaments, zum Ausdruck gebracht wurde.
Gesetzgebung gegen «Childfree»
Als Antwort auf den Aufschwung der «Childfree»-Bewegung wird derzeit in der Staatsduma ein Gesetz diskutiert. Dieses soll laut der «NZZ» die Propagierung von «Childfree» unter Strafe stellen.
Dies könnte die Entscheidung, kinderlos zu bleiben, in Zukunft unmöglich machen. Ein ähnlicher Ansatz wird bereits bei der Propaganda für nicht traditionelle sexuelle Beziehungen verfolgt.
Die demografische Krise
Die Bevölkerungszahl Russlands geht von Jahr zu Jahr zurück. Im Jahr 2023 wurden nur etwa 1'264'000 Neugeborene registriert, die niedrigste Zahl seit der schweren Wirtschaftskrise 1999.
Präsident Wladimir Putin hat das Ziel ausgegeben, die Geburtenrate zu erhöhen. Und zwar von derzeit 1,4 auf 1,8 Kinder pro gebärfähige Frau bis zum Jahr 2036.
Stimulierung der Geburtenrate
Um diese Zielsetzung zu erreichen, haben verschiedene Funktionäre und Politiker Vorschläge unterbreitet, um die Geburtenrate zu stimulieren. Diese Vorschläge spiegeln oft eine gesellschaftliche Vorstellung wider, die Frauen lediglich als Gebärmaschinen ansieht, die im Dienst des Staates stehen.
Der Gesundheitsminister Michail Muraschko, selber Gynäkologe, äusserte sich kritisch über das Karrierebewusstsein der modernen Frauen.
Das Kriegsdilemma
Diese Besorgtheit über die sinkende Geburtenrate zeigt sich aufgrund des Krieges, an dem die russische Regierung beteiligt ist. Der Krieg hat auf russischer Seite bereits geschätzte 100'000 Todesopfer gefordert.
Das lässt bei vielen Russen Zweifel an der Idee der Familiengründung aufkommen.
Die Rolle des Staates
Während das Thema der Geburtenrate von grosser Bedeutung ist, darf die Rolle des Staates nicht übersehen werden. Der Staat muss nämlich sicherstellen, dass ein guter Lebensstandard gewährleistet wird.
Auch sollte eine adäquate soziale Infrastruktur vorhanden sein, damit mehr Kinder aufgezogen werden können.
«Demografische Spezialoperation»
Ein Forscher der Akademie der Wissenschaften, Albert Bachtisin, hat deswegen eine «demografische Spezialoperation» vorgeschlagen. So soll die beunruhigende demografische Entwicklung des Landes bewältigt werden.
Doch auch er ist der Ansicht, dass finanzielle Anreize allein nicht ausreichen. Daher schlägt er zusätzlich umfangreiche Investitionen in die soziale Infrastruktur und das Gesundheitswesen vor.
So soll das Leben auf dem Land attraktiver werden. Die Bemühungen, das Bevölkerungswachstum zu stimulieren, werden von einer immer stärkeren Kontrolle und Beeinflussung des Privatlebens der Bürger begleitet.
Kinder seien eine Verpflichtung des Bürgers
Diese zunehmend restriktive Kontrolle steht jedoch in starkem Kontrast. In Russland kommt es häufig zu Scheidungen und Gewalt. Zudem gibt es einen grossen Anteil alleinerziehender Eltern in der russischen Gesellschaft.
Trotz der massiven Bemühungen um eine Steigerung der Geburtenrate zeigt die Bevölkerung daher zum Teil Zurückhaltung.
Finanzielle Anreize hätten kaum Auswirkungen
Laut einer Studie der Moskauer «Higher School of Economics» neigen Menschen auch dazu, die Familiengründung aufzuschieben. Dies aufgrund der gegenwärtigen politischen Führung oder negativen Emotionen und Sorgen.
Demograf Alexei Rakscha kritisiert, dass 95 Prozent der vorgeschlagenen Massnahmen zur Bewältigung der demografischen Krise Unsinn seien. In seinen Augen wären finanzielle Anreize das einzig wirksame Mittel zur Förderung der Elternschaft.
Es sei beispielsweise effektiver bei der Entscheidung für ein zweites oder drittes Kind. Solche Anreize für das erste Kind würden hingegen kaum Auswirkungen zeigen.
Eine Einmischung ins Privatleben
Die Demografiepolitik der russischen Regierung bleibt also weiter umstritten. Es wird zwar mit zunehmender Dringlichkeit versucht, die Geburtenrate zu erhöhen. Doch entwickelt sie gleichzeitig eine Kontrolle und Einmischung ins Privatleben, die bei vielen Bürgern auf Abneigung stösst.