EU-Politiker: Johnson zielt auf einen No-Deal-Brexit
Das Wichtigste in Kürze
- Fünf Wochen vor dem geplanten Brexit sehen EU-Politiker die Chancen auf eine Einigung mit London schwinden.
Die Verhandlungen kämen nicht voran, sagte der Grünen-Fraktionschef im Europaparlament, Philippe Lamberts, am Donnerstag in Brüssel. Er mahnte neue Vorschläge aus London an. Kanzlerin Angela Merkel warnte aber vor Hochmut gegenüber den Briten und erinnerte daran, dass man auch künftig gute Beziehungen brauche.
Unterhändler Michel Barnier hatte EU-Abgeordnete über den Stand der Verhandlungen mit Grossbritannien informiert, bevor er am Freitag erneut Brexit-Minister Stephen Barclay trifft.
Lamberts sagte, Barnier habe wenig zu berichten gehabt, denn: «Es tut sich nichts.» Und der Grüne fügte hinzu: «Ich bin überzeugt, dass die Strategie von (Premierminister) Boris Johnson ist, einen 'No-Deal' zu erreichen», sagte Lamberts weiter. Darauf deute Johnsons aggressive Sprache. «Er bringt uns wirklich gegen sich auf. Macht man das, wenn man wirklich eine Einigung will?»
Johnson war am Donnerstag wegen seiner Wortwahl auch in London schwer in die Kritik geraten. Während der ersten Parlamentsdebatte nach Aufhebung der Zwangspause hatte er am Mittwoch im Hinblick auf den aus seiner Sicht längst überfälligen EU-Austritt von «Kapitulation» und «Verrat» gesprochen. Beobachter werten Johnsons aggressive Rhetorik bereits als Teil eines Wahlkampfs, in dem er sich als Verfechter des Volkswillens gegen das Parlament inszenieren will.
Der Premier droht damit, das Land am 31. Oktober ohne Abkommen aus der EU zu führen, sollte sich Brüssel nicht auf seine Forderungen nach Änderungen am Brexit-Abkommen einlassen. Wie er an einem Gesetz vorbeikommen will, das ihn zum Beantragen einer Verlängerung verpflichtet, ist jedoch unklar. Johnson spricht stets vom «Kapitulationsgesetz». Die Abgeordneten hatten es gegen seinen Willen durchgepeitscht. Es sieht vor, dass spätestens bis zum 19. Oktober ein Deal mit der EU unter Dach und Fach sein muss.
Lamberts zufolge sprechen auch Johnsons Beleidigungen an das eigene Parlament dagegen, dass das Unterhaus einen etwaigen Kompromiss mit der EU billigen würden. Über Johnsons Strategie sagte er: «Sie ist gefährlich, sie ist spalterisch, sie ist Gift für die Demokratie.»
Auf eine Frage nach den Redeschlachten zwischen Johnson und Abgeordneten im britischen Unterhaus sagte eine Sprecherin der EU-Kommission: «Ich möchte alle daran erinnern, dass Respekt ein Grundwert aller unserer Demokratien ist. Es ist die Verantwortung von jedem Politiker, diese Werte hochzuhalten. Die Geschichte hat uns gezeigt, was passiert, wenn dies nicht geschieht.»
Abgeordnete von Johnsons Tory-Partei und der Opposition kritisierten die Kriegsrhetorik des Regierungschefs als «abstossend» und «respektlos». Damit würden nur Aggressionen im Brexit-Streit geschürt, hiess es. Schon jetzt erhielten viele Abgeordnete Morddrohungen. Johnson blieb aber bei seiner Wortwahl.
Vor allem eine Bemerkung Johnsons über die ermordete britische Politikerin Jo Cox sorgte für Entrüstung. Auf die Bitte einer Labour-Abgeordneten, Johnson solle angesichts von Drohungen gegen Parlamentsmitglieder seine Sprache mässigen, entgegnete er: «Der beste Weg, um das Andenken von Jo Cox zu ehren und dieses Land wieder zu einen, wäre den EU-Austritt zu vollziehen.» Cox, die sich für den Verbleib Grossbritanniens in der Europäischen Union eingesetzt hatte, war 2016 während des Referendum-Wahlkampfs von einem Rechtsextremisten ermordet worden.
Das Unterhaus lehnte unterdessen am Donnerstag eine dreitägige Sitzungsunterbrechung für den Parteitag der britischen Konservativen ab. Die Abgeordneten stimmten mit 306 zu 289 gegen den Antrag der Regierung, von Montag bis Mittwoch nicht zu tagen. Für Johnson setzt sich die Niederlagenserie im Parlament damit fort. Seit seinem Amtsantritt Ende Juli konnte er noch keine einzige Abstimmung gewinnen.
An der Tory-Parteikonferenz in Manchester, die bereits am Sonntag beginnt, soll aber festgehalten werden. Unklar war aber, ob die Rede Johnsons zum Abschluss am Mittwoch wie geplant stattfindet oder noch verschoben werden soll.
Der insgesamt rüde und laute Ton während der Debatte am Mittwoch darf sich nach dem Willen von Unterhauspräsident John Bercow nicht wiederholen. Möglicherweise werde die Debattenkultur im Hause zum Thema einer Untersuchung, sagte Bercow am Donnerstag. Noch in der Nacht hätten ihn darauf zwei hochrangige Mitglieder des Parlaments angesprochen. Bercow bat die Abgeordneten, ihre Lautstärke zu senken und «sich gegenseitig als Gegner und nicht als Feinde zu behandeln».
Bundeskanzlerin Merkel versucht, Lehren aus dem Brexit zu ziehen. Im Bezug auf Wettbewerbsfähigkeit könne der EU-Austritt auch ein Ansporn sein, sagte sie am Donnerstag in einem Podiumsgespräch mit FAZ-Herausgeber Berthold Kohler in Frankfurt. Die CDU-Politikerin sprach sich dafür aus, unvoreingenommen darauf zu schauen, was Grossbritannien an der EU gestört habe. «Das war natürlich zum Teil viel Bürokratie.»
Die Bundeskanzlerin betonte in Bezug zu Grossbritannien: «Wir müssen gucken, dass wir aus eigenem Interesse gute Beziehungen zu diesem Land haben und da ist jede Form von Hochmut völlig unangebracht.»