Southport-Tote: Darum entlädt sich die Wut an Migranten
Drei Mädchen sterben in Southport nach einem Messerangriff. Der Täter ist in England geboren, die Wut entlädt sich aber an Migranten. Das sind die Gründe.
Das Wichtigste in Kürze
- Nach einem tödlichen Messerangriff auf Kinder letzten Montag herrscht in England Chaos.
- Rechtsradikale attackieren Asylheime – obwohl der Täter in England geboren ist.
- Kriminologe Baier sagt: Bei den Protesten wüten nicht nur Extremisten und Rassisten mit.
- «Es sind auch junge Männer, die an Erlebnisgewalt interessiert sind.»
Geplünderte Geschäfte, brennende Autos, verletzte Polizisten. Antimuslimische Parolen und Attacken auf Asylheime, über 250 Festnahmen. In mehreren englischen Städten sowie im nordirischen Belfast herrscht Ausnahmezustand.
Grund dafür ist der Messerangriff auf Kinder im nordenglischen Southport. Letzten Montag tötet ein erst 17-Jähriger drei Mädchen im Alter von sechs, sieben und neun Jahren. Weitere Kinder und Erwachsene befinden sich in Lebensgefahr.
In den sozialen Medien verbreiten sich danach Spekulationen: Beim Täter soll es sich um einen muslimischen Asylbewerber handeln. Rechtsradikale gehen seither auf die Strasse, protestieren gegen Migration.
Allerdings: Die Polizei erklärt in einer Mitteilung, dass der 17-jährige Tatverdächtige in Grossbritannien geboren wurde, seine Eltern sind aus Ruanda. Bei der Meldung, dass er ein Asylbewerber sei, handelt es sich um Fake News. Sein Motiv ist noch unklar.
Die Ultranationalisten glauben der Polizei nicht und glauben, man wolle die Öffentlichkeit über die Identität des Messerangreifers belügen. Warum der ganze Hass auf Migranten? Kriminologe Dirk Baier liefert Antworten.
«Menschen suchen nach Sündenböcken»
Nau.ch: Woher kommt der Hass auf Migranten in England?
Dirk Baier: Der Hass auf Migranten wird seit Jahren von verschiedenen Akteuren befeuert. Einerseits gibt es konservative bis rechte Parteien, deren Thema Nummer 1 die Immigration ist. Diese wird mit verschiedenen Problemen wie insbesondere Kriminalität in Zusammenhang gebracht.
Andererseits gibt es rechte Gruppierungen, die in den sozialen Medien (und auch jenseits davon) Hetze verbreiten.
Nau.ch: Warum gerade jetzt?
Dirk Baier: Nicht zuletzt ist das Vereinigte Königreich unter anderem durch den EU-Austritt in einer wirtschaftlichen Krise.
Wenn ökonomische Probleme zunehmen und Menschen von sozialem Abstieg bedroht sind, suchen sie Sündenböcke. Die machen sie dann für ihre Probleme verantwortlich.
Es gibt insofern auch in der Bevölkerung insgesamt eine grössere Zustimmung zu ausländerfeindlichen Positionen.
«Es sind nicht nur Rassisten»
Nau.ch: Machen an den Protesten nur Rechtsradikale mit?
Dirk Baier: Initiiert werden sie von rechten Gruppierungen wie der English Defence League, Patriotic Alternative oder ähnlichen. Es sind aber nicht nur Extremisten und Rassisten, die sich in England an solchen Krawallen beteiligen.
Es sind auch junge Menschen, in der Regel Männer, die an Erlebnisgewalt interessiert sind. Personen, die sonst vielleicht im Fussball-Hooliganbereich aktiv sind. Der Krawall ist ein Event, der Menschen, die gewaltaffin sind, anzieht.
Nau.ch: Was ist das Ziel der Randalierer?
Dirk Baier: Einige träumen sicherlich von einem Umsturz. Diese politische Vision ist aber nur für wenige handlungsleitend. Anderen Beteiligten geht es um Protest.
Man will der Regierung zeigen, dass eine andere Immigrationspolitik gewünscht ist. Drittens geht es einfach um die Gewalt an sich: Das Messen mit der Polizei, das ungehemmte Aggressionen-Ausführen, zieht diese Personen an.
«Situation ist mit repressiven Massnahmen nicht dauerhaft gelöst»
Nau.ch: Wie lange dauern die Krawalle noch?
Dirk Baier: Ich gehe davon aus, dass der Gewaltspuk schon bald vorbei ist. Die Polizei wird die Situation sehr genau beobachten; man wird noch mehr in den sozialen Medien schauen, wo sich weitere Krawalle ankündigen.
Dann wird man mit grosser Polizeistärke versuchen, diese zu unterbinden; Personen, die solche Krawalle initiieren, werden rasch bestraft werden. Mittels solch repressiver Massnahmen wird man die Situation beruhigen. Die Politik wird kommunikativ weiter versuchen, die Situation zu deeskalieren.
Nau.ch: Das reicht aus, damit einfach wieder Ruhe einkehrt?
Dirk Baier: Das Problem ist, dass die Situation mittels repressiver Massnahmen nicht dauerhaft gelöst wird. Die Menschen, die immigrationsskeptisch oder ausländerfeindlich denken, sind ja immer noch da.
Es wird daher auch weiterer präventiver Massnahmen bedürfen. So sollen Vorurteile in der Bevölkerung bekämpft werden und die sozialen Probleme im Zuge der Wirtschaftskrise gelöst.