Ukraine-Krieg: Diese Rolle spielt Musik für Kreml-Propaganda
Putin versucht auch mithilfe von Musik, die Bevölkerung zu beeinflussen – unter anderem im Ukraine-Krieg. Ein Experte erklärt, wie das geschieht.
Das Wichtigste in Kürze
- Alexej Nawalny muss im Straflager Propaganda-Musik hören.
- «Ja russkij» von Shaman wird jeden Morgen gespielt, wirkt aber teilweise sehr westlich.
- Ein Musikwissenschaftler erklärt, wieso – und wie Russland die Musik politisiert.
Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny sitzt immer noch in Haft. Auch im Gefängnis bleibt der berühmteste Kritiker von Wladimir Putin nicht von der Kreml-Propaganda verschont.
Wie kürzlich bekannt wurde, werden jeden Morgen nämlich die russische Hymne und ein russischer Popsong gespielt.
Diese Tatsache wirft gleich mehrere Fragen auf. Einerseits fällt auf, dass der angesprochene Song – «Ja russkij» von Shaman – doch auch ziemlich westlich erscheint. Man könnte hier auf den ersten Blick einen gewissen Widerspruch mit der antiwestlichen Haltung des Kremls erkennen.
Andererseits stellt sich die Frage, was die Musik allgemein für eine Rolle in der russischen Propaganda im Ukraine-Krieg spielt.
«Russland ist ein Land der Widersprüche»
Musikwissenschaftler David-Emil Wickström bestätigt gegenüber Nau.ch zunächst, dass es einen gewissen Widerspruch gibt. «Es ist nicht unüblich, dass russische Musik ähnlich klingt wie westliche», sagt er. Die Populärmusik sei stark global beeinflusst.
Das sei auch bei Shamans Hit, dessen Titel übersetzt «Ich bin Russe» bedeutet, der Fall. Im Musikvideo zu den rockigen Klängen trägt der Sänger unter anderem Leder und Dreadlocks.
Wickström betont jedoch: «Es gibt beispielsweise in ‹Ja russkij› auch ganz klare russische Elemente.» Im Video sieht man das beispielsweise am Kreuz, das er um den Hals trägt. Im Text bringt Shaman zudem seinen Stolz, Russe zu sein, unmissverständlich zum Ausdruck.
Solche zunächst paradox erscheinenden Situationen sind in Wladimir Putins Land nichts Aussergewöhnliches. Der Experte von der deutschen Popakademie Baden-Württemberg erklärt: «Russland ist für Aussenstehende ohnehin ein Land der Widersprüche, auch ausserhalb der Musik. Einige Dinge sind wie im Westen, andere laufen ganz anders.»
Wladimir Putin selbst scheint übrigens westliche Musik auch nicht ungern zu haben. So sang er beispielsweise bei einem Anlass im Jahr 2010 schon den US-Song «Blueberry Hill». Am selben Abend trug er am Klavier aber auch ein patriotisches sowjetisches Lied vor.
Kreml will junge Menschen vom Ukraine-Krieg überzeugen
Was die Rolle der Musik im Ukraine-Krieg angeht, sagt Wickström: «Musik ist sehr wichtig als Propaganda-Mittel.» Das zeigt sich beispielsweise daran, dass immer wieder Pro-Kreml-Festivals stattfinden, wo verschiedene Künstlerinnen und Künstler auftreten. Dort soll die Bevölkerung vom Krieg überzeugt werden.
Nicht zuletzt geht es Putin und seinen Leuten darum, die jungen Menschen für sich zu gewinnen. Beispielsweise mit Rap- oder Rockmusik. «Der Kreml versucht auch, die Jugendmusik für sich zu vereinnahmen», sagt der Experte.
Nahezu unbedeutend sind in Russland regierungskritische Musiker – spätestens seit der Eskalation im Ukraine-Krieg. «Die meisten sind ins Ausland geflüchtet, weil es in Russland zu gefährlich ist. Schon vor dem Krieg waren kritische Künstler kaum sichtbar. Sie können teilweise keine Konzerte buchen oder ihre Konzerte werden kurzfristig abgesagt.»
Die Musik-Propaganda findet, wie das Beispiel von Alexej Nawalny zeigt, auch ihren Weg ins Gefängnis. «Man will den Häftlingen klarmachen, was es heisst, Russe zu sein», hält Wickström fest.
Der Experte erklärt, dass Musik zudem oft als Foltermethode dient, beispielsweise weil so den Insassen der Schlaf entzogen wird. «Diese Art von Tortur hat eine lange Tradition und wird nicht nur in Russland praktiziert.» Die Folter mit Musik kann demnach auch durch Lautstärke erfolgen.
Alexej Nawalny in entlegenes Straflager verlegt
Wie Alexej Nawalny kürzlich erzählte, würden sie im Gefängnis jeden Morgen den Befehl «Aufstehen!» erhalten. Danach folgen die russische Hymne und die Klänge von Shaman. Das Lied soll «der Erziehung» dienen, so der Oppositionelle.
Der 47-jährige Nawalny wurde vor etwas mehr als drei Jahren – schon vor der Eskalation im Ukraine-Krieg – festgenommen. Wegen Extremismus erhielt der Kreml-Kritiker insgesamt 19 Jahre Lagerhaft. Zuletzt verlegten ihn die Behörden in das entlegene Straflager Polarwolf in der Jamal-Region.