Ukraine Krieg: «Soldatenmütter tragen nicht Verantwortung für Söhne»
Die Gräueltaten, die russische Soldaten im Ukraine-Krieg begehen, machen sprachlos. Doch es gilt, die Schuld nicht bei den Falschen zu suchen: ihren Müttern.
Das Wichtigste in Kürze
- Zivilisten wurden von russischen Truppen brutal ermordet, gefoltert, vergewaltigt.
- Immer wieder wird an die Mütter der Täter appelliert.
- Eine Expertin mahnt zur Zurückhaltung – die Frauen treffe schliesslich keine Schuld.
Im Ukraine-Krieg werden Zivilisten gefoltert, vergewaltigt und getötet. Die Gräueltaten sind strategisch. Russische Soldaten werden von Vorgesetzten dazu angewiesen, wie ein kürzlich veröffentlichter Funkspruch beweist.
Ausgeführt werden sie oft von jungen Männern – von Männern, deren Mütter in Russland auf sie warten. Und genau diese Frauen sind nun in den Fokus der Welt gerückt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj appelliert schon Anfang März an sie: «Wenn Sie auch nur den geringsten Verdacht haben, dass Ihr Sohn in den Krieg geschickt werden könnte, handeln Sie!»
Als immer mehr Grausamkeiten ans Licht kommen, wandelt sich der Ton. Selenskyjs Frau Olena wendet sich kurze Zeit später mit vorwurfsvollen Worten an die Soldaten-Mütter. «Eure Söhne töten Zivilisten in der Ukraine – sie sind gekommen, um ein Volk auszulöschen.»
Anfang April schliesslich erreicht der Horror nach dem Bekanntwerden des Butscha-Massakers eine neue Dimension. Auch diesmal werden die Mütter der Täter angeklagt. Ein Überlebender schimpft: «Sehen Sie, welche Bastarde Sie grossgezogen haben. Mörder, Plünderer, Henker.»
Mütter tragen im Ukraine-Krieg «keine Verantwortung»
Verzweiflung und Schrecken in der Ukraine sind gross. Doch die Schuld bei den Frauen zu suchen, die die Angreifer grossgezogen haben, ist falsch, stellt eine Expertin klar.
Leandra Bias ist Gender-Beauftragte und Politikwissenschaftlerin bei der Friedensstiftung Swisspeace. Für sie steht fest: «Mütter tragen keine Verantwortung für die Taten ihrer Söhne – es wäre eine Zumutung, das zu behaupten.»
Bias: «Wir erlauben Frauen die politische Mitgestaltung nicht und machen sie auch noch mitverantwortlich für die Verbrechen von Männern.» Das sei unfair und diskriminierend. «Diese Forderungen und Verurteilungen sollten definitiv unterlassen werden.»
Die Gesellschaft erschwere es Frauen, politisch teilzuhaben, gerade in Russland. Allgemein würden Frauen in Care-Rollen gedrängt und nur über ihre Beziehungen zu anderen, insbesondere zu Männern, definiert. Also als Schwestern, Ehefrauen, Töchter oder eben Mütter.
Engagement für Frieden von Frauen erwartet
Doch warum werden im Ukraine-Krieg immer wieder Mütter beschuldigt, angefleht und verurteilt? Leandra Bias sieht drei Gründe.
Einerseits bilden die russischen Soldaten-Mütter tatsächlich eine zivilgesellschaftliche Vereinigung, so die Expertin. Dabei handelt es sich um eine der letzten NGOs, die in Russland noch tätig sein können. «Diese NGO hat sich immer wieder gegen Krieg gestellt. Darum bestand die Hoffnung, dass sie sich auch gegen den Ukraine-Krieg aussprechen würde.»
Andererseits spielen auch Gender-Erwartungen eine Rolle, wie Bias erklärt: «Wir setzen Frauen mit Opfern und Männer mit Tätern gleich. So gehen wir grundsätzlich davon aus, dass Frauen sich für friedvolle Lösungen engagieren.» Sie würden zudem stark über ihre Mutterrolle definiert.
Hinzu kommt, dass Frauen sich im Krieg oft überproportional für den Frieden und als Mütter einsetzen. «Das hat aber nichts mit Biologie zu tun, sondern mit Rollen und Handlungsmöglichkeiten.»