Ukraine Krieg: «Totaler Krieg wäre bei Russen unpopulär»
Heute feierte Russland trotz Ukraine-Krieg den «Tag des Sieges» mit Militärparade und Putin-Rede. Russland-Experte Ulrich Schmid schätzt diese bei Nau.ch ein.
Das Wichtigste in Kürze
- In Moskau wurde heute der «Tag des Sieges» über die Nazis gefeiert.
- Kreml-Chef Wladimir Putin hielt eine Rede. Ein Russland-Experte schätzt diese ein.
- Ulrich Schmid bezeichnet die Ansprache des Präsidenten als «trotzig und ernüchternd».
Mit Spannung war die Rede von Kreml-Chef Wladimir Putin heute auf dem Roten Platz in Moskau erwartet worden. Verkündet Putin etwa den Sieg im Ukraine-Krieg? Oder ruft er zur grossen Mobilmachung auf?
Stunden später zeigte sich: Weder noch.
Den Krieg brach er quasi auf einen regionalen Konflikt runter, den er auf den Donbass fokussierte. Auch verlor Putin kein Wort darüber, dass er Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj stürzen und töten will.
Russland-Experte Ulrich Schmid schätzt den Auftritt des Kreml-Führers gegenüber Nau.ch ein. Sein erstes Fazit zur Putin-Rede? «Trotzig und ernüchternd.»
Wegen Ukraine-Krieg politischer Realismus
Nicht einmal die kleinste Ankündigung eines bevorstehenden Siegs machte Putin in seiner Ansprache. «Putins Rede ist Ausdruck eines neuen politischen Realismus', der sich Optionen freihält», schätzt Schmid ein.
Anstatt vom Ukraine-Krieg als Ganzes sprach der Kreml-Boss lediglich von den Kämpfen im Donbass. «Putin redimensioniert so die russischen Kriegsziele», sagt Schmid. «Er hat indirekt sogar die hohen militärischen Kosten im Donbass eingestanden, indem er den Gefallenen mit einer Schweigeminute gedenkt hat.»
Dass der Kreml-Chef die Generalmobilmachung nicht verkündete, überrascht den Experten nicht. «Ein totaler Krieg gegen die Ukraine wäre in der russischen Bevölkerung unpopulär», so Schmid. Die Botschaft an die Bevölkerung sei klar: «Wir sind stark und wir sind geeint.»
Flugshow abgesagt – um Ängste zu beschwichtigen
Wegen des schlechten Wetters – eine seltsame Aussage, zeigte sich doch Sonnenschein – liess Putin die geplante Flugshow kurzfristig absagen.
Dabei war schon Tage zuvor gemunkelt worden, der Weltuntergangs-Jet werde heute mitfliegen. Bei dem Jet handelt es sich um das russische Militärtransportflugzeug Il-80, auch bekannt als «Doomsday Plane». Das Flugzeug soll dem russischen Staatsoberhaupt als mobile Kommandozentrale dienen, sollte ein Atomkrieg wüten.
Putin hatte ihn bereits Probe fliegen lassen. Auch das hält Schmid für eine Art Besänftigung seitens Putin. «Es ging wohl darum, auch Ängste in der russischen Bevölkerung zu beschwichtigen. Niemand in Russland würde einen Nukleareinsatz gutheissen.»
Putin selbst schien fit und gutgelaunt – und das trotz schon langanhaltenden Spekulationen zu seinem Gesundheitszustand. Gemunkelt wird vermehrt über Parkinson, Krebs oder Demenz. Eine Einschätzung seines Auftretens zu machen, hält Schmid aber für schwierig. «Es ist möglich, dass er unter Gesundheitsproblemen leidet, aber diese Gerüchte zirkulieren schon seit vielen Jahren.»