Tochter missbraucht - zwölf Jahre Haft für Angeklagten
Als sich Ermittler auf die Spur von Jörg L. begaben, stiessen sie ein Tor zum Abgrund auf. Nun ist der Familienvater verurteilt worden. Das Leid, das die Täter im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach über ihre Kinder gebracht haben, wird lange bleiben.
Das Wichtigste in Kürze
- Jörg L. betritt den Saal 210 des Kölner Landgerichts mit einer Winterjacke, die Kapuze hat er über den Kopf gezogen.
Als die Fotografen den Raum verlassen haben, lässt er den roten Aktenordner sinken, mit dem er sein Gesicht verdeckt hat, auch die Kapuze zieht er ab. Die Jacke aber lässt er an. Es wird ungemütlich. Richter Christoph Kaufmann erhebt das Wort.
Zwölf Jahre Freiheitsstrafe verhängt das Gericht am Dienstag für den 43-Jährigen, der als eine der Schlüsselfiguren im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach gilt. Zudem ordnet es die Unterbringung des gelernten Kochs in der Sicherungsverwahrung an. Jörg L. stehen lange Jahre hinter Gittern bevor. Starr im Blick schaut er den Richter an, während dieser mehr als zwei Stunden lang das Urteil erklärt.
Die Staatsanwaltschaft hatte Jörg L. in ihrer Anklage 79 Taten vorgeworfen. Nicht wegen aller Vorwürfe wird er am Ende verurteilt. Fest steht aber, dass er immer wieder seine 2017 geborene Tochter missbraucht hat, zum Teil auch zusammen mit einem anderen Vater, den er in einem Chat kennengelernt hatte. Aufnahmen seiner Taten teilte er in Chatgruppen mit Gleichgesinnten. Was auf diese Weise dokumentiert ist, bestritt er im Prozess auch nicht. Taten, die Ermittler ihm nur anhand seiner Text-Beiträge in den Chats - sprich Erzählungen - vorgeworfen hatten, gibt er unter dem Strich aber nicht zu. Bei diesen greift am Ende die Unschuldsvermutung.
Verurteilt wird er aber unter anderem wegen Kindesmissbrauchs und Vergewaltigung. Das Gericht zeichnet im Urteil das Bild eines Mannes, der schon lange pädophile Neigungen ins sich trägt und mit dem Eintauchen in die Schattenwelt des Internets immer mehr davon auslebte. Richter Kaufmann bezeichnet die Chats als «Maschinenraum für Missbrauch», in dem sich eine zerstörerische Dynamik entwickelte.
Jörg L. sei dabei einer der proaktiven Protagonisten gewesen, kein Mitläufer oder stiller Gast. Der 43-Jährige aus Bergisch Gladbach kam in den Chats an Kinderpornografie - und «revanchierte» sich mit Aufnahmen vom Missbrauch seiner Tochter. Gemacht wurden die Bilder und Clips vorzugsweise am Morgen, vor der Kita. Auf der Wickelkommode, im Schlafzimmer der Eltern und mit steigender Frequenz. Kaufmann spricht von einem «schrecklichen Tatbild».
Schon die Verlesung der Anklage hatte mehr als eine Stunde gedauert und mit verstörenden Details aufgewartet. Wegen der Aufnahmen waren viele Übergriffe gut dokumentiert. Im Prozess stellte sich heraus, wie strategisch der 43-Jährige seine Taten geplant hatte. Und wie kühl er sogar blieb, als die Einschläge näher kamen. Als einer seiner Mittäter auffliegt, verwahrt er für ihn dessen kinderpornografisches Material.
Der Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach wurde nach dem Wohnort von Jörg L. benannt. Denn Durchsuchungen bei ihm im Herbst 2019 hatten den Fall ins Rollen gebracht. Polizisten fanden nicht nur grosse Mengen kinderpornografischen Materials, sondern auch die Chats und Kontakte zu anderen Männern, die im Internet Videos und Abbildungen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs austauschen - und sich damit brüsten. Das Landgericht beschreibt die Festnahme von Jörg L. rückblickend als «Erdbeben» für die Szene.
Mittlerweile gehen Polizisten Spuren zu Tausenden Verdächtigen nach, auch Urteile hat es schon gegeben. Aber es verhält sich wie in einem Schneeballsystem: Mit jedem Täter werden Spuren zu vielen weiteren Verdächtigen entdeckt. Das Geflecht ist riesig.
Teile des Prozesses waren unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt worden, darunter die Aussage des Angeklagten. Den Antrag hatte die Nebenklage-Anwältin gestellt, die seine Tochter vertrat. Sie wollte das Mädchen schützen.
Zu den Folgen für die Tochter gehöre, dass die Bilder ihres Martyriums nun womöglich für immer im Netz seien, sagt Richter Kaufmann. Und eines Tages werde sie sich sicherlich damit beschäftigen, warum es in dem Leben, an das sie sich aktiv erinnert, «ihren Vater nie gegeben hat».
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.