Höchster Kirchenmann Frankreichs verurteilt
Nun hat es ein Gericht bestätigt: Der Erzbischof von Lyon hat Missbrauchsfälle unter den Teppich gekehrt. Für mutmassliche Opfer war die Enttäuschung gross gewesen, als die Anklage im Januar einen Freispruch im Fall Barbarin gefordert hatte.
Das Wichtigste in Kürze
- Frankreichs höchster katholischer Würdenträger ist überraschend wegen Vertuschung von Missbrauchsvorwürfen schuldig gesprochen worden und hat seinen Rücktritt angekündigt.
Die Anklage hatte im Januar noch den Freispruch von Kardinal Philippe Barbarin gefordert.
Er werde sein Rücktrittsgesuch beim Papst einreichen, sagte Barbarin nach der Urteilsverkündung am Donnerstag. Das Urteil, das kurz nach dem Gipfeltreffen im Vatikan zu sexuellem Missbrauch kommt, dürfte Signalwirkung haben. Für zahlreiche Beobachter ist die Entscheidung des Gerichts historisch.
Das Gericht in Lyon verurteilte den Erzbischof der Stadt zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung, weil er Fälle sexueller Übergriffe auf Minderjährige nicht angezeigt habe. Barbarins Anwälte kündigten an, in Berufung zu gehen. «Ich nehme die Entscheidung des Gerichts zur Kenntnis», sagte Barbarin in einem kurzfristig anberaumten Statement vor der Presse in Lyon. Unabhängig von seinem persönlichen Schicksal sprach er den Opfern sein Mitgefühl aus. Eine Reaktion des Vatikans gab es zunächst nicht.
Mehrere Tage hatten Zeugen im Januar dem Gericht in Lyon eindringlich ihre Missbrauchserfahrung geschildert - sie berichteten von schockierenden Erlebnissen, die sie als Kinder und Jugendliche erfuhren. «Endlich werden wir die Wahrheit über einen Mechanismus des Schweigens erfahren», hatte ein mutmassliches Opfer erklärt.
Kardinal Barbarin und anderen Geistlichen wurde in dem Verfahren vorgeworfen, Missbrauchsvorwürfe gegen einen Priester nicht weiter verfolgt zu haben. Dieser soll in den 1980er Jahren gegen Dutzende Kinder übergriffig geworden sein und noch jahrzehntelang für die Kirche gearbeitet haben. Die Schuld des Priesters ist bisher nicht rechtskräftig festgestellt worden. «Ich habe nie versucht, diese schrecklichen Taten zu verbergen, geschweige denn sie zu vertuschen», hatte Barbarin zu Beginn des Prozesses beteuert.
Die katholische Kirche steht wegen Missbrauchsvorwürfen in zahlreichen Ländern unter Druck - die Problematik rückte zuletzt mit dem historischen Anti-Missbrauchsgipfel im Februar im Vatikan wieder in den Fokus. Nur kurze Zeit später wurde bekannt, dass der bisherige Finanzchef des Vatikans, George Pell, wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen in Australien verurteilt worden war. Für den Papst war das eine weitere Hiobsbotschaft so kurz nach seinem Gipfel. Auch bei der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in der kommenden Woche dürfte Missbrauch in der Kirche wieder Thema sein.
Opferverbände fordern nicht nur vehement, dass Missbrauchstäter konsequent aus dem Priesterstand entlassen werden, sondern auch Vertuscher der Taten. Dass Täter gedeckt wurden, war in der Vergangenheit gängige Praxis - das weiss auch der Pontifex. Zum Abschluss seines Gipfels räumte er das ein und versprach ein Ende der Vertuschung. Wie das künftig konkret verhindert werden soll, sagte er nicht.
Das Verfahren gegen Barbarin hatte ein Opferverband angestrengt. Der Urteilsverkündung blieb Barbarin fern «Das ist historisch», kommentierte Gino Hoel von der katholischen Zeitschrift «Golias» im Sender Franceinfo das Urteil. «Mit Kardinal Barbarin wird auch das kirchliche System verurteilt.» Opferverbände begrüssten die Entscheidung des Gerichts.
Barbarin ist ein einflussreicher Mann in der katholischen Kirche. Im Sommer 2002 wurde er mit nur 51 Jahren Erzbischof von Lyon und damit höchster katholischer Würdenträger Frankreichs - für Beobachter war er eine Art Shootingstar, der auch immer wieder mit umstrittenen Aussagen provozierte. Das Amt des Primas der katholischen Kirche in Frankreich ist traditionell mit dem Posten des Erzbischofs von Lyon verbunden.
Der Fall um Barbarin und die Vorgänge in der katholischen Kirche in Lyon wurden jüngst mit dem preisgekrönten Berlinale-Spielfilm «Grâce à Dieu» (deutscher Titel: Gelobt sei Gott) einem grösseren Publikum bekannt. Der Film François Ozons setzt sich mit dem Leiden von Missbrauchsopfern auseinander, die feststellen, dass der Pfarrer, der sie damals missbraucht hatte, auch Jahrzehnte später noch mit Kindern in der Diözese arbeitet. Die Geschichte basiert auf den Ereignissen in Lyon.