Wohl hunderttausende Patienten haben verunreinigte Blutdrucksenker eingenommen. Auf erschreckende Weise lege der Skandal Probleme im Kontrollsystem offen.
Blutdruck
Ein Arzt misst in der Notfall-Triage-Praxis in einer Klinik in Niedersachsen den Blutdruck einer Patientin. (Symbolbild) - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • In Deutschland kam vor drei Wochen ein Skandal ans Licht.
  • Bluthochdruckmittel mit dem Wirkstoff Valsartan sind verunreinigt.
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Vor gut drei Wochen wurde bekannt, dass viele Bluthochdruckmittel, die auf dem Wirkstoff Valsartan basieren, mit einem potenziell krebserregenden Stoff verunreinigt sind. Doch darüber hinaus sind viele Fragen offen: Weder die deutschen Landesbehörden noch die Hersteller haben bislang Daten zur Dosis des Stoffes N-Nitrosodimethylamin (NDMA) veröffentlicht, der offenbar in den Produkten mehrerer Hersteller enthalten war. Nach ersten Stichproben-Analysen des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker sind die Verunreinigungen nicht zu vernachlässigen: In einzelnen Tabletten fanden sich bis zu 22 Mikrogramm NDMA.

Bei Lebensmittel stark reduziert

Zum Vergleich: Bei Lebensmitteln wurde die NDMA-Belastung in den letzten Jahrzehnten stark reduziert. Wie Mitarbeiter des Zentrallaboratoriums in der «Pharmazeutischen Zeitung» schreiben, enthalte geräucherter Schinken maximal 2,5 Mikrogramm NDMA pro Kilogramm, für Bier existiere ein technischer Richtwert von 0,5 Mikrogramm pro Kilogramm.

Der Ausgangs-Wirkstoff für die inzwischen vom Markt genommenen Arzneimittel kam vom chinesischen Produzenten Zhejiang Huahai Pharmaceutical. Telefonisch war die Firma nicht zu erreichen. Noch am Dienstag betonte sie in einer Erklärung, dass es sich bei den Verunreinigungen um eine «extrem geringe Menge» handele. Der Pharmazeut und Dopingexperte Fritz Sörgel widerspricht. «Im Gegenteil: Es ist überraschend, dass sie so hoch ist», sagt er.

Offensichtlich habe sich der Hersteller nicht mit der Frage beschäftigt, welche Auswirkungen die Verunreinigungen auf die Gesundheit von Patienten habe, da bereits geringste Mengen problematisch seien könnten. Es sei «erschreckend», dass die Substanz offenbar in so hohen Konzentrationen in Heilmitteln enthalten ist, erklärt Sörgel. Experimente haben bislang gezeigt, dass NDMA bei vielen Tierarten krebserregend ist. Die internationale Agentur für Krebsforschung der WHO und die EU stufen den Stoff beim Menschen als wahrscheinlich krebserregend ein.

Auch wenn noch offen ist, welches Risiko die dauerhafte Einnahme verunreinigter Präparate mit sich bringt, besteht nach aktueller Einschätzung zumindest kein akutes Gesundheitsrisiko, erklärt der Sprecher des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Auf EU-Ebene analysieren und bewerten Arzneimittelexperten derzeit die Tragweite der Verunreinigung, wie auch die hiermit verbundenen Risiken. Patienten, die valsartanhaltige Arzneimittel einnehmen, sollten sich nach Empfehlung des BfArM mit ihrem Arzt oder Apotheker in Verbindung setzen. Wichtig sei, das Arzneimittel nicht ohne Rücksprache abzusetzen, da dies ungleich riskanter wäre. Da zahlreiche Valsartan-Präparate ohne Verunreinigung auf dem Markt sind, wie auch andere Blutdrucksenker, werden Patienten derzeit auf diese Mittel umgestellt.

900'000 Patienten betroffen

Valsartan ist ein häufig verschriebenes Arzneimittel: Wie ähnliche Substanzen weitet es die Blutgefässe und senkt so den Blutdruck, es wird auch bei Patienten mit Herzschwäche oder nach einem Herzinfarkt eingesetzt. Nach einer Schätzung der Bundesregierung könnten im vergangenen Jahr rund 900'000 Patienten das verunreinigte Mittel eingenommen haben. Am Donnerstag rief der deutsche Pharmahersteller Hormosan seinen Blutdrucksenker Irbesartan vorsichtshalber teilweise aus den Apotheken zurück, da er nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausschliessen könne, dass einzelnen Chargen produktionsbedingt mit NDMA verunreinigt seien. Auch hier sei von keinem akuten Patientenrisiko auszugehen.

Aus Sicht vieler Experten ist es unverständlich, dass Verunreinigungen mit einem potenziell krebserregenden Stoff in einem Arzneimittel so lange unentdeckt bleiben. «Kritisch bewerten wir die Tatsache, dass über einen anscheinend mehrjährigen Zeitraum sowohl die Hersteller, die dem Arzneimittelgesetz unterstehen, als auch die zuständigen Kontrollbehörden keine Kenntnis über die Verunreinigung hatten», schreibt etwa ein Sprecher des Verbands der Ersatzkassen in Sachen Valsartan.

Der AOK-Bundesverband verlangt «strengste Auflagen» auch für Firmen im Ausland: Die Politik müsse mit den global agierenden Herstellern aushandeln, wie dies umgesetzt werden kann. Auch die AOK Rheinland/Hamburg sieht auf Nachfrage einen «klaren Handlungsbedarf»: «Patientinnen und Patienten müssen sich auf die Qualität von Arzneimitteln und ihre Qualitätsprüfung verlassen können», erklärt ein Sprecher. Ein Barmer-Sprecher betont gleichfalls, dass die «bereits heute existierenden Prüfregularien» überprüft werden müssten.

Der Fall werfe ein schlechtes Licht auf den Import von Arzneimitteln, sagt Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Offenbar hätten die Kontrollmechanismen versagt, so dass verunreinigte Arzneimittel bis nach Deutschland zum Patienten kamen. «Es ist vollkommen inakzeptabel für unsere Verbraucher, dass Arzneimittel hier auf den Markt kommen, die möglicherweise krebserregende Substanzen enthalten», sagt er. Daher sollte sich die EU-Kommission nach gründlichen Untersuchungen überlegen, ob die Arzneimittelproduktion nicht wieder verstärkt nach Europa verlagert werden sollte. Unter Patienten hätten die Verunreinigungen für viel Beunruhigung gesorgt. «Hierzu haben uns sehr viele Anfragen erreicht wie zu keinem Thema zuvor», sagt Ludwig.

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