Wal-Versuche für das Tierwohl? Kritik an Experiment
Darf man junge Wale kurzfristig Stress aussetzen, um Lärmfolgen für ihre Artgenossen besser zu verstehen? In Norwegen hält man das für angemessen. Tierschützer und Walforscher laufen Sturm.
Das Wichtigste in Kürze
- Auf den Lofoten im hohen Norden Norwegens sind grosse Unterwassernetze zwischen felsigen Inseln gespannt, um junge Zwergwale auf ihrem Weg durch das Europäische Nordmeer abzufangen.
An den Meeressäugern (Balaenoptera acutorostrata) sollen mehrstündige Hörversuche vorgenommen werden, um zu erforschen, welche Auswirkungen menschlicher Lärm auf die Tiere hat. Tierschützer und auch Wissenschaftler halten die Experimente für fragwürdig. Darf man wilde Tiere unter Stress untersuchen, um Daten für das vermeintliche Wohlergehen ihrer Artgenossen zu sammeln?
Nun sind Hörversuche bei Tieren nicht ungewöhnlich. Kürzlich hatte ein Projekt unter Beteiligung des Deutschen Meeresmuseums in Stralsund ergeben, dass Pinguine sensibel auf Geräusche über und unter Wasser reagieren. Im Zuge der Verhaltenstests wurden unter anderem vier Humboldtpinguine darauf trainiert, in einer schalldichten Box mit dem Schnabel eine Fläche zu berühren, wenn sie einen Ton hörten. Das Ergebnis: Pinguine reagieren unter Wasser auf Schall, eine Hörschwelle ermittelten die Forscher aber nicht.
Ein wesentlicher Unterschied zum jetzigen Experiment ist, dass es sich bei den Walen um wilde Tiere handelt. Im Walfangland Norwegen hat die zuständige Lebensmittelbehörde Mattilsynet das Experiment genehmigt. Ziel ist, Erkenntnisse zu gewinnen, welche Lärmquellen schädlich für Wale sind. «Wissen darüber, wie menschliche Aktivitäten wilde Tiere stören, wird immer zum Nutzen der Tiere sein», heisst es von der Behörde. «Wir glauben, dass das auch hier der Fall ist.»
Wale sind auf ihren Reisen durch die Ozeane auf Kommunikation per Schall angewiesen. Vom Menschen verursachter Lärm kann dabei stören. Auf den Lofoten sollen im Laufe dieses und der drei folgenden Sommer insgesamt bis zu zwölf Wale gefangen und maximal sechs Stunden lang Tests unterzogen werden. Neben Bluttests sind mit Hilfe von Elektroden auch Untersuchungen ihres Hörvermögens geplant, während die Tiere zwischen zwei Flössen gehalten werden. Falls nötig, sollen sie betäubt werden. Schliesslich werden ihre Rückenflossen mit Satellitensendern ausgestattet, bevor sie wieder freigelassen werden.
Die norwegische Behörde glaubt, die Belastung der Tiere sei gerechtfertigt. Lärm sollten die Wale nicht ausgesetzt werden, vielmehr gehe es darum, den leisesten Lärmpegel zu finden, den sie hören könnten. «Wir glauben, dass die Ergebnisse des Experiments sowohl dem Zwergwal als auch anderen Walarten zugutekommen werden, während wir mehr darüber lernen werden, wie Lärmbelästigung im Ozean diese Tiere stören kann.»
Bei der Walschutzorganisation Whale and Dolphin Conservation (WDC) hat das Vorhaben tiefe Besorgnis ausgelöst. Bereits im Mai wandte sich die Organisation im Namen von mehr als 50 Forschern an die norwegische Ministerpräsidentin Erna Solberg. «Wir fordern, dass dieses Projekt gestoppt wird, da es zu erheblichen Traumata für die Wale führen könnte, ohne zu einer nützlichen Wissenschaft beizutragen», heisst es in dem Schreiben. Diese Art Experiment sei nie zuvor probiert worden, die Sorge vor Stress und Verletzungen bei den Tieren gross. «Diese Experimente können für die einzelnen Wale zu erheblichem Leid führen und riskieren, Norwegens Ruf zu untergraben.» Unterzeichnet wurde das Schreiben von führenden Walforschern aus aller Welt, darunter der Berliner Meeresbiologe Fabian Ritter.
Die Sorge der Unterzeichner betrifft nicht nur die Tiere: Sollte der Stress zu Panik bei den jungen Walen führen, könnte nicht nur für sie eine gefährliche Situation entstehen, sondern auch für beteiligte Forscher, wird in dem Brief gewarnt. Die Aussagekraft der Daten stellen die Verfasser ebenfalls infrage. Solberg solle eine Absage der Versuche fordern. Eine entsprechende Online-Petition hatten bis Samstagabend rund 72.500 Menschen unterzeichnet.
Durchgeführt wird das Experiment federführend vom Forschungsinstitut des norwegischen Verteidigungsministeriums (FFI), finanziert wird es unter anderem von US-Öl- und Gasbehörden sowie der US-Marine. Das Institut verteidigt das Experiment. «Wir haben kaum Wissen über das Hörvermögen von Bartenwalen», sagt FFI-Kommunikationschefin Anne-Lise Hammer - und bei dem Experiment gehe es genau darum, diese Lücke zu schliessen. Man müsse Richtlinien und Werkzeuge finden, um negative Effekte des vom Menschen verursachten Lärms auf das Leben im Meer zu minimieren.
Die Walschützer sind der Ansicht, es sei kein Zufall, dass so etwas im Nicht-EU-Land Norwegen und nicht in den USA oder der Europäischen Union abgehalten werde. «Diese Art von Versuchen dürften in den Gewässern um die USA nie durchgeführt werden, weil Wale und Delfine dort sehr stark geschützt sind. Man hat da ein Land gefunden, in welches man das auslagern konnte», sagt WDC-Walschutzexpertin Astrid Fuchs. Auch in der EU wäre das schwierig geworden.
«Generell sagen wir natürlich immer, dass Forschung zu Walen wichtig ist, damit wir sie eben besser schützen können», sagt Fuchs. «Sie darf aber nicht invasiv und belastend sein.» Weil der Wal sich bei dem Experiment in einem unnatürlichen Umfeld befinde, werde er hochgradig gestresst sein und Angst haben. «Auf die Art und Weise kann man gar keine wissenschaftlich belastbaren Daten generieren.» Im schlimmsten Fall könne das Experiment zum Tod des Tieres führen. Man müsse sich vergegenwärtigen, dass es sich um wilde Tiere handele. «Das hat wirklich sehr viel von einem tatsächlichen Tierversuch in Gefangenschaft.»
Das Forschungsteam hat nach Angaben des FFI noch bis Ende Juni Zeit, Wale zu fangen - klappt das nicht, geht es in den Monaten Mai und Juni der nächsten drei Sommer weiter. Die Walschützer wollen die Experimente auch in den kommenden Jahren verhindern. Dauerhaft gefangen wurde nach WDC- und FFI-Angaben bis Freitag kein Tier. Zwar schwamm am Mittwoch ein Wal in das abgezäunte Becken, wie die zuständige Behörde angab. In der folgenden Nacht sei er jedoch wieder entkommen.