Wie explosiv ist der Syrien-Konflikt in der Schweiz?
Trotz der Waffenruhe in Nordsyrien gehen etliche Menschen auf die Strasse. Auch in der Schweiz mobilisieren Pro-Kurden täglich.
Das Wichtigste in Kürze
- Gestern einigten sich die Türkei und die USA auf eine fünftägige Waffenruhe in Nordsyrien.
- Trotzdem finden täglich Demos statt, auch in der Schweiz.
«Wir stossen hier an Kapazitätsgrenzen!» Klare Worte des Berner Sicherheitsdirektors Reto Nause. Beinahe täglich finden in Bern Solidaritätskundgebungen für die Kurden in Syrien statt. Dabei seien gefährliche Emotionen im Spiel.
In mehreren Schweizer Städten gingen diese Woche täglich Menschen auf die Strasse, um gegen die Militär-Offensive der Türkei zu demonstrieren. Diese verliefen nicht immer friedlich. Vor der türkischen Botschaft in Bern wurden am vergangenen Freitag auch Steine und Absperrgitter gegen die Polizei geworfen.
Zwar haben sich die USA und Türkei eine fünftägige Waffenruhe vereinbart. Doch der Zündstoff bleibt.
Erdogan-Kritiker entschärfen Situation in der Schweiz
Für Christoph Ramm, Türkeiwissenschaftler an der Uni Bern, keine Überraschung: «Solche Ausschreitungen hat es schon immer gegeben, wenn es in der Türkei oder den Nachbarländern Konflikte gab», sagt Ramm.
So etwa 2015 in Bern, wo eine Kundgebung von türkischen Nationalisten zu Ausschreitungen führte. 22 Personen wurden damals verletzt.
Doch Ramm beschwichtigt: «Wobei man sagen muss, dass die grosse Mehrheit der Kundgebungen friedlich verläuft.» Zudem unterscheide sich die Situation in der Schweiz zu jenen in den Nachbarländern Deutschland und Österreich. «Die Mehrheit der in der Schweiz lebenden türkeistämmigen Menschen ist eher Erdogan-kritisch», so Ramm.
Sorgen bereiten den Sicherheitskräften wie Reto Nause eher die gewaltbereiten linksextremen Gruppierungen, die die Demos der Kurden teilweise unterstützen. «Das schadet den berechtigen Anliegen, auf die die Kurden aufmerksam machen wollen», so Nause.
Offensive wegen innenpolitischem Druck auf Erdogan
Die Auswirkung der ausgehandelten Waffenruhe sei derzeit sehr schwer abzuschätzen, ergänzt Ramm. «Aber es scheint so, als hätte die Türkei – was die bisher eroberten Gebiete anbelangt – ihre Ziele gegenüber den USA durchgesetzt. Andererseits hat sie nicht alle Ziele erreicht, weil die kurdische YPG Unterstützung vom Assad-Regime und den russischen Verbündeten erhält.»
Somit ist der Konflikt mit der Waffenruhe keinesfalls gelöst.
Aus Sicht der Türkei sei die Operation nicht optimal verlaufen, weil sie isoliert da stehe. Beim Konflikt zwischen der Türkei und der kurdischen Miliz handle es sich nicht um einen ethnischen, sondern um einen politischen Konflikt. «Die Hauptmotivation hinter der Offensive ist innenpolitischer Natur», so Ramm.
Erdogan stehe unter anderem wegen Wahlniederlagen seiner Partei und Abwendungen von Parteimitgliedern unter Druck. «Es ist ein Versuch, sich als Feldherr zu profilieren, um Stimmen zu gewinnen.»
Solche militärischen Operationen würden nationalistische Gefühle hervorrufen – auch bei der Opposition. Mit der Offensive stärkt Erdogan somit den Zusammenhalt im Land.