Angst

Metropole auf wackligem Grund – Istanbul lebt mit der Angst

Keystone-SDA
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Türkei,

Der Schreck des starken Erdbebens in Istanbul steckt Millionen von Bewohnern noch in den Knochen. Doch viele kehren zurück zur Realität.

Erdbeben erschüttert Istanbul
Menschen in der Millionenstadt verliessen Häuser und Wohnungen. - dpa

Fast zwei Tage nach dem Erdbeben ist Istanbul zumindest augenscheinlich in vielen Teilen wieder zu ihrem Alltag zurückgekehrt, auch wenn es vor der Küste der Metropole weiter bebt. Die Rückkehr zur Normalität ist auch eine Reaktion vieler auf Alternativlosigkeit. Denn in der Stadt sicher zu leben oder wegzuziehen, ist für viele unmöglich.

Bei der Erdbebenserie am Mittwoch registrierte der Katastrophendienst Afad kurz vor 13 Uhr Ortszeit das bislang stärkste Beben der Stärke 6,2 mit einem Epizentrum im vor der Stadt gelegenen Marmarameer. Zahlreiche weitere Erdstösse der Stärken 4 bis 5 folgten. Die Türkei liegt in einer der seismisch aktivsten Gegenden der Welt. Mehr als eine Million Gebäude in Istanbul gelten als nicht erdbebensicher.

Grössere bevorstehende Beben befürchtet

Viele Experten warnen vor noch grösseren bevorstehenden Erdbeben. Das Beben in Istanbul rief die Sorge davor noch einmal mehr auf den Plan. Das Beben von Mittwoch habe ein starkes Beben über 7 nun noch mal wahrscheinlicher gemacht, denn damit sei ein Teil der ohnehin schon kritisch geladenen Verwerfung vor Istanbul aktiviert worden, sagte Marco Bohnhoff vom GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam.

Zahlreiche Menschen verliessen wegen der Erdbeben und der Angst vor weiteren zumindest vorübergehend die Stadt. Doch die Option haben nicht alle. Das Land plagt eine starke Wirtschaftskrise, der starke Anstieg der Preise etwa von Lebensmitteln hat viele Menschen nicht nur in Istanbul in die Armut gedrängt.

Für einen Jobwechsel oder einen Wegzug aus der wirtschaftlichen Metropole, die eine zentrale Rolle für den nationalen Arbeitsmarkt spielt, dürfte bei vielen das Budget fehlen. Auch ein Umzug in ein erdbebensicheres Gebäude in der Stadt ist wegen der explodierten Mieten für die wenigsten eine bezahlbare Option.

Opposition: Menschen leben «in Särgen und nicht in Wohnungen»

Istanbulerinnen und Istanbuler machen fast 20 Prozent der türkischen Bevölkerung aus. Um die Metropole dauerhaft sicherzumachen, fordern zahlreiche Stimmen aus der Politik mehr Massnahmen – und prangern fehlende Bemühungen vonseiten der Regierung an.

Ein Politiker der nationalkonservativen Oppositionspartei Iyi sagte im Parlament mit Blick auf die schlechte Vorbereitung der Stadt, die Menschen würden «in Särgen und nicht in Wohnungen» leben. Der politische Analyst Levent Gültekin kritisierte in einem Video: «Wir warten auf das Erdbeben wie die Schafe auf die Schlacht.»

Die Verantwortung dies zu ändern liegt zu einem grossen Teil bei der Zentralregierung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, aber auch bei der Stadtregierung der grössten Oppositionsregierung CHP – bislang unter Führung des mittlerweile abgesetzten und inhaftierten Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu.

Immer wieder warf er der Regierung vor, seine Vorhaben zu blockieren. Die macht ihm und seiner Partei den gleichen Vorwurf. Mit Imamoglu wurde vor einem Monat auch der Chef der Istanbuler Stadtplanungsbehörde IPA festgenommen. IPA ist zentraler Akteur bei der Schaffung einer für das grosse Beben gewappneten Stadt.

Erdogan: Beben nicht für politische Zwecke nutzen

Nicht nur die Gebäudesubstanz ist ein grosses Risiko in der Metropole, in der ein Beben mit der Stärke über 7 laut vielen Experten seit langem überfällig ist. In der Stadt fehlt es etwa auch an Evakuierungsplanung und -infrastruktur sowie an Aufklärung der Öffentlichkeit.

Auch Mängel bei der Bauaufsicht und Korruption sind weit verbreitet. Zudem wurden in der Vergangenheit immer wieder – und nicht nur in Istanbul – Tausende illegal errichtete Gebäude nachträglich über Baumamnestien legalisiert.

Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte, solche Tage seien nicht dazu da, «Politik zu machen», sondern sich an die «Einheit und Brüderlichkeit» zu erinnern. Er wolle an solch sensiblen Tagen nicht diskutieren und sehe das als «Respektlosigkeit gegenüber dem Volk».

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