Wie Impfgegner Todesfälle von Promis instrumentalisieren
Es scheint, als würden Impfgegner Todesfälle von Prominenten immer mehr zu ihren Zwecken missbrauchen. So auch bei US-Model Jeremy Ruehlemann.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Corona-Impfstoffe gelten weit verbreitet als sicher und wirkungsvoll.
- Im Internet behaupten Impfgegner aber weiterhin das Gegenteil.
- Dabei machen sie sich Todesfälle von Prominenten zunutze.
Seit dem Beginn der Corona-Pandemie sind weltweit Milliarden von Impfdosen geimpft worden. Die Impfstoffe gelten als sicher. Doch die Impfgegner machen in den sozialen Netzwerken mit einer neuen Methode Stimmung. Sie versuchen den Todesfall von Prominenten, meist jungen Menschen in einen Zusammenhang mit der Corona-Impfung zu bringen, ohne Belege.
So auch im Fall um Jeremy Ruehlemann: Das US-Model ist mit nur 27 Jahren gestorben. Neben den Kondolenzen finden sich im Internet auch Kommentare von radikalen Impfgegnern. Auf Twitter verwenden sie den Hashtag «#plötzlichundunerwartet», der sarkastisch gemeint ist.
Er soll zum Ausdruck bringen, dass sie (die Impfgegner) immer gewusst hätten, dass die Impfung gefährlich sei. Beweise für ihre Behauptungen liefern sie aber nicht.
Belege kaum vorhanden
Dass Medien längst über Ruehlemanns tatsächliche Todesursache berichtet haben, spielt in der Szene keine Rolle. Gegenüber der englischen Boulevardzeitung «Daily Mail» sprach der Vater des Toten von einer Medikamentenabhängigkeit und einer tödlichen Überdosis.
Mehr Belege als einen irgendwie vermuteten Zusammenhang zwischen Impfung und Tod präsentieren Impfgegner in der Regel nicht. Im Falle Ruehlemanns kursierte als angeblicher Beweis ein Foto, das ihn in New York bei einer Corona-Impfung zeigt. Ursprünglich hatte Ruehlemann es im Jahr 2021 auf seinem Instagram-Account veröffentlicht. Nun sammeln sich unter dem Post Kommentare wie «Natürliche Auslese» oder «Da hat er sein eigenes Todesurteil unterzeichnet».
«Ganz typisches Muster von Verschwörungstheorien»
Solche teils menschenverachtenden Sätze zu Ruehlemann reihen sich ein in Reaktionen auf andere Todesfälle. So sammelten Impfgegner unter «#plötzlichundunerwartet» in den vergangenen Wochen auch Verstorbene wie Sängerin Lisa Marie Presley und Skifahrerin Rosi Mittermaier. Der Herzstillstand von American-Football-Profi Damar Hamlin während eines Spiels Anfang Januar wurde ebenfalls als Impfnebenwirkung gedeutet. Nicht immer sind bei diesen Menschen Todesursachen oder Erkrankungen bekannt, doch allen Fällen ist gemein: Auf einen Zusammenhang mit der Impfung deutet nichts hin – ausser dem Raunen im Netz.
Die Hamburger Journalistikprofessorin Katharina Kleinen-von Königslöw forscht zu sozialen Netzwerken und Verhaltensweisen von Nutzerinnen und Nutzern. «Der Impfgegner-Hashtag folgt einem ganz typischen Muster von Verschwörungstheorien. Deren Reiz besteht ja darin, spielerisch Hinweise zu finden für ein grösseres Muster dahinter», sagt sie. Und tatsächlich kann jeder Nutzer mittels des Hashtags zu der Sammlung von vermeintlichen Impf-Todesfällen beitragen.
Heterogene Gruppe an Erzählung beteiligt
Es gebe verschiedene Gruppen, die sich an dieser Impfschaden-Erzählung beteiligen. Neben überzeugten Impfgegnern und Menschen, die zum Beispiel ein unternehmerisches Interesse an der Verbreitung von Verschwörungstheorien hätten, seien da Menschen, «die vielleicht einfach Fan waren oder die verstorbene Person interessant fanden», sagt Kleinen-von Königslöw. Bei dieser Gruppe bestehe die Gefahr, dass sie sich in die Verschwörungstheorie hereinziehen lasse. Denn es gebe verbreitet Unsicherheiten und «viele gute Gründe, warum man die Impfung unheimlich finden konnte: die schnelle Entwicklung der Impfstoffe und die neue mRNA-Technologie etwa».
Die konkrete Wirkung des Hashtags «plötzlichundunerwartet» besteht darin, dass er zu einer selektiven Wahrnehmung führt: «Wenn man einmal auf diesen vermeintlichen Trend aufmerksam gemacht wurde, fällt es viel stärker auf», sagt Kleinen-von Königslöw. Aus vielen Einzelfällen werde so der Eindruck: Todesfälle häufen sich – und der Grund kann nur sein, dass die Corona-Impfung schädlich ist.
Schwere Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe sehr selten
Tatsächlich sind schwere Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe sehr selten. In Deutschland führt das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) Statistiken über die Sicherheit der Impfungen. Ausgewertet werden zum Beispiel Meldungen über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen.
Auf diese Weise wurde etwa bekannt, dass in sehr seltenen Fällen nach der Impfung Herzmuskelentzündungen auftraten. Impfempfehlungen wurden daraufhin angepasst.
Anfang 2022 meldete das PEI 85 Todesfälle, bei denen ein «ursächlicher Zusammenhang mit der Corona-Impfung als möglich oder wahrscheinlich» eingestuft wurde. Verabreicht waren zu diesem Zeitpunkt fast 150 Millionen Impfdosen. Die Zulassung von Impfstoffen ist eine Frage der Abwägung: Übersteigt der Schutz, den sie bieten, die Risiken? Die Ständige Impfkommission sieht das bei Corona als gegeben: Die Impfung wird weiter empfohlen.