RKI: «Fünf nach zwölf» bei Corona

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Deutschland,

Sind die dramatisch ansteigenden Infektionszahlen wieder unter Kontrolle zu bekommen? Nächste Woche tagt eine Krisenrunde von Bund und Ländern - schon vorher werden einschneidende Massnahmen gefordert.

RKI-Präsident Lothar Wieler mit den neuesten Corona-Zahlen: «Wir müssen alles tun, um diese Dynamik zu brechen». Foto: Wolfgang Kumm/dpa
RKI-Präsident Lothar Wieler mit den neuesten Corona-Zahlen: «Wir müssen alles tun, um diese Dynamik zu brechen». Foto: Wolfgang Kumm/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Wegen der immer bedrohlicheren Corona-Ausbreitung in Deutschland werden mögliche weitere Alltagsbeschränkungen konkreter.

Das Robert Koch-Institut (RKI) rief am Freitag alle Bürgerinnen und Bürger auf, ihre Kontakte zu reduzieren. Einschränkungen sind nach Einschätzung von RKI-Präsident Lothar Wieler auch bei Partys und Grossveranstaltungen vor allem in Innenräumen nötig. Der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) forderte vor Bund-Länder-Beratungen ein schnelles Gegensteuern. Spahn sprach sich für das Prinzip 2G plus bei öffentlichen Veranstaltungen aus - also Zugang nur für Geimpfte und Genesene, die zusätzlich einen aktuellen Test vorweisen müssen. Von diesem Samstag an sind wieder kostenlose Corona-Schnelltests für alle möglich.

«Vierte Welle trifft uns jetzt mit voller Wucht»

RKI-Präsident Wieler warnte: «Es ist fünf nach zwölf.» In etlichen Landkreisen gebe es so viele Neuinfektionen, dass Kliniken und besonders die Intensivstationen an der Kapazitätsgrenze seien. Dies werde ohne zusätzliche Massnahmen überall eintreten. «Die vierte Welle trifft uns jetzt mit voller Wucht.»

Die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen stieg laut RKI auf 263,7 und damit den fünften Tag in Folge auf einen Höchstwert. Die Gesundheitsämter meldeten binnen eines Tages 48,640 neue Fälle.

«Wir müssen alles tun, um diese Dynamik zu brechen», sagte Spahn. «Sonst wird es für das ganze Land ein bitterer Dezember.» Wieler erläuterte, beispielsweise müssten von den mehr als 50 000 Neuinfizierten, die am Vortag gemeldet worden waren, im Laufe der Zeit etwa 3000 ins Krankenhaus, 350 auf die Intensivstation. Rund 200 würden wahrscheinlich sterben. Für eine stärkere Eindämmung solle unter anderem bei Grossveranstaltungen die Personenzahl reduziert oder ein Verbot erwogen werden. Eine konkrete Zahl als Obergrenze nannte er nicht. «Wir wissen, dass insbesondere in Innenräumen sogenannte Superspreader-Events stattfinden.» Man solle auch erwägen, in besonders belasteten Regionen Bars oder Clubs zu schliessen.

Höhere finanzielle Anreize für Impfpraxen

Spahn begründete seine Forderung nach 2G plus damit, dass die bisher von Bund und Ländern vereinbarte 3G-Regel mit Zugang für Geimpfte, Genesene und Getestete alleine nicht mehr reiche. Dies werde ausserdem zu oft nicht kontrolliert, so dass eigentlich 0G gelte. Erste Länder führen 2G-Regeln schon ein. Dies dürfte auch Thema der für Donnerstag vorgesehene Corona-Runde von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten sein.

Zudem sollen höhere finanzielle Anreize für die Praxen die Impfungen stärker in Schwung bringen, wie Spahn ankündigte. So sollen Ärzte statt der bisherigen 20 Euro ab Dienstag 28 Euro je Impfung erhalten, ausserdem auch einen neuen Wochenendzuschlag von 8 Euro. Spahn wies darauf hin, dass die Impfungen schon anziehen. In dieser Woche seien mehr als 4,3 Millionen Dosen bestellt worden, eine Vervierfachung verglichen mit den vergangenen Wochen. Neben den Praxen gebe es wieder mehr als 170 Impfstellen und rund 600 mobile Teams.

Ab Samstag wieder kostenlose Schnelltests

Eine am Freitag verkündete Verordnung Spahns legt die Rückkehr zu kostenlosen «Bürgertests» auf breiter Front fest. Damit haben alle mindestens einmal pro Woche Anspruch auf einen Schnelltest durch geschultes Personal - auch unabhängig vom Impf- oder Genesenenstatus. Bescheinigungen können auch als Nachweis bei Zugangsregeln dienen.

Spahn sagte, in Pflegeheimen sei dringend eine Testpflicht für Personal und Besuche nötig - dies sei aktuell sinnvoller als eine Impfpflicht fürs Personal, da sich jetzt Geimpfte ebenfalls testen lassen sollten. Am Arbeitsplatz solle die 3G-Regel eingeführt werden.

In einem gemeinsamen Appell riefen Verbände von Kliniken, Ärzten, Pflegekräften und Fachangestellten dazu auf, das Gesundheitswesen vor Überlastung zu schützen. Als eine Sofortmassnahme müsse einheitlich 2G als Zutrittsvoraussetzung zu Angeboten des öffentlichen Lebens kommen. Für Aktivitäten mit besonders hohem Infektionsrisiko, vor allem in Brennpunktregionen, sollten zusätzlich zu 2G Schnelltests obligatorisch werden.

Spahn kritisierte Pläne der voraussichtlichen Regierungspartner SPD, FDP und Grüne, in einer neuen Rechtsgrundlage für Massnahmen künftig weniger mögliche Eindämmungs-Instrumente aufzuführen. «Es braucht mehr, als aktuell möglich gemacht werden soll.» In den Plänen der Ampel-Partner sind vorerst etwa keine pauschalen Schliessungen von Einrichtungen mehr als Möglichkeit für die Länder vorgesehen. Die vom Bundestag festgestellte «epidemische Lage» als bisherige Grundlage für Massnahmen soll den Plänen zufolge am 25. November auslaufen.

Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen?

Die Ampel-Parteien diskutieren auch über eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen. Wahrscheinlich werde man in den nächsten Wochen eine berufsgruppenspezifische Impfpflicht einführen müssen, sagte der Grünen-Experte Janosch Dahmen. Er nannte etwa Pflegekräfte, Ärzte, Reinigungs- und Küchenpersonal in Kliniken oder Pflegeheimen. Die SPD-Fachpolitikerin Sabine Dittmar sagte, man müsse sehr sorgfältig abwägen, möglicherweise wanderten dann Pflegekräfte ab. Spahn wandte sich erneut gegen eine allgemeine Corona-Impfpflicht und verwies auf Schwierigkqeiten bei der Umsetzbarkeit und Kontrollen. 

Zum Krisenmanagement wird auch die Bundeswehr zunehmend herangezogen. «Wir sehen einen ansteigenden Bedarf», sagte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums. Derzeit seien 650 Soldatinnen und Soldaten dafür im Einsatz, davon 570 in der Kontaktnachverfolgung, 48 in Krankenhäusern und 17 in der Impfkampagne.

Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, kritisierte bei RTL die vollen Karnevalsfeiern vom Vortag. «Das werden wir in ein bis zwei Wochen bitter bezahlen.» Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) verteidigte die Feiern: Es seien nur Geimpfte und Genesene zugelassen worden. 

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