Zu Tisch, die Heuschrecken sind fertig

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Deutschland,

Gebackene Heuschrecken und Mehlwürmer, Grillen in Kräutern - klingt doch lecker, oder? Michael Blautzik aus Hannover hat ein Start-up gegründet, um mit Insekten der Massentierhaltung den Kampf anzusagen.

Michael Blautzik von Bugoo zeigt eine Heuschrecke auf dem Lindener Marktplatz. Der Start-up-Gründer will Menschen zur Umstellung ihres Speiseplans auf Insekten ermutigen. Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Michael Blautzik von Bugoo zeigt eine Heuschrecke auf dem Lindener Marktplatz. Der Start-up-Gründer will Menschen zur Umstellung ihres Speiseplans auf Insekten ermutigen. Foto: Julian Stratenschulte/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Ein schneller Blick, sie staunt, dann geht sie weiter.

Nach wenigen Metern bleibt sie stehen, dreht sich um und mustert den Marktstand erst aus der Ferne, dann kommt sie zurück. Ganz genau sieht sie sich die ausgelegten Waren, verpackt in kleinen und grösseren Tütchen, an.

Der Händler möchte der Frau helfen, sie meint verlegen, später noch einmal wiederzukommen - oder in einer Woche. Der Händler, der 32 Jahre alte Michael Blautzik, nickt verständnisvoll, er kennt das. Was hat die Kundin so verwirrt? Es ist eine ganz spezielle Delikatesse, die vermutlich kaum jemand auf dem Speisezettel haben dürfte: Insekten.

Obwohl: «Ich laufe schon wochenlang hinter Ihnen her», sagt eine andere Kundin fast schon vorwurfsvoll. Andrea Reissmann kennt Insekten dank einer Kollegin, die in Afrika gearbeitet und geröstete Heuschrecken mitgebracht habe - «die schmecken wie Garnelen». Jetzt ist sie neugierig, will mehr wissen und - ausprobieren.

Mehlwürmer gefällig? Die seien ja ohnehin «köstlich», sagt sie wissend und deutet auf die Packungen mit gebackenen Heuschrecken: «Die Grossen will ich auch» - und dazu Grillen, in Kräutern, Chili oder Knoblauch. Abscheu überwinden müsse sie nicht, obwohl sie das Gewimmel von Insekten auch nicht besonders appetitanregend findet. Denn: «Was gibt's Besseres an Proteinen?»

Nun ja, das will wohlüberlegt sein, scheinen viele Kunden zu denken. Doch wer wirklich stehenbleibe und probiere, das lasse sich kaum einschätzen, sagt Blautzik. Er habe vermutet, dass sich eher jüngere Menschen für die knusprigen Krabbeltiere interessieren, aber seine Kundschaft sei bunt gemischt.

Noch gebe es keinen richtigen Markt dafür, aber auf lange Sicht, in fünf bis zehn Jahren, wer weiss - vielleicht sei es dann Normalität. Fest steht: Viel Aufklärung gehöre dazu, sagt der 32-Jährige, der im April sein Start-up « » gegründet hat - das englische Wort «bug» wegen der Insekten und die zwei angehängten «oo» wegen des Klangs.

Insekten als Statement gegen Massentierhaltung

Der Betriebswirt, der Erfahrung im E-Commerce hat, weiss: Sein Geschäftsmodell - und seine Waren - muss er den Menschen erklären. Daher steht er samstags auf dem Wochenmarkt im hannoverschen Stadtteil Linden, denn «einfach so», so viel stehe fest, kämen die Menschen nicht auf seinen Online-Shop.

Die Insekten züchte er nicht selbst, sondern beziehe sie von Züchtern in Deutschland und Holland. Die gefriergetrockneten Insekten würden in einer angemieteten Küche gebacken, verpackt und verkauft. Was brachte ihn dazu? «Die Massentierhaltung kann so nicht weitergehen», betont Blautzik. Das sehen viele seiner potenziellen Kunden wohl ebenso, aber manche seien «noch nicht bereit».

Noch zögern Verbraucher - Gründer ist aber zuversichtlich

Das ist nicht überall so: In Afrika südlich der Sahara gehören Insekten seit jeher zur Nahrung der Menschen, über 500 Insektenarten werden auf dem Kontinent verspeist. In Europa dürfte das noch ein weiter Weg sein, aber zwei Drittel der europäischen Verbraucher sind laut einer des europäischen Verbraucherverbands BEUC von 2020 bereit, ihre Ernährung für den Klima- und Umweltschutz umzustellen.

Doch nur wenige wollen Fleischalternativen wie eben Insekten auf dem Teller haben - nur 10,3 Prozent können sich dies der Umfrage zufolge vorstellen. Das sei «kulturell bedingt», sagt Blautzik - aber der Markt entwickele sich, es brauche Zeit. Kann er von seinem Start-up leben? Bisher «definitiv nicht».

Zumal Insekten derzeit noch teuer seien, für preissensible Kunden ist das ein Hindernis. Aber: Man müsse den Menschen bewusst machen, was Tieren in der Massentierhaltung angetan werde. «Vegan fanden vor 20 Jahren auch alle verrückt», sagt Blautzik.

Auch Umwelt würde von Umstellung auf Insekten profitieren

Dazu kommt der Umweltaspekt: Laut Umweltbundesamt schneiden Fleischersatzprodukte auf Insektenbasis bei der Umweltbilanz zwar etwas schlechter ab als pflanzliche Ersatzprodukte - aber im Vergleich mit Rind, Schwein und Huhn sei die Ökobilanz immer noch besser. Der Grund: Insekten könnten Futtermittel effizienter verwerten. Der 32-Jährige betont, er gehe nicht davon aus, dass Insekten unsere Nahrung komplett ersetzen - aber sie seien ein Teil der künftigen Ernährung.

Auf dem Lindener Markt ist Norbert Lawrenz geneigt, diese Einschätzung zu teilen, er esse ohnehin weniger Fleisch - und die Grillen, die er gerade probiert, erinnern ihn an Chips oder geröstete Nüsse. Für ihn sind die Insekten eine interessante Alternative auf dem Teller - vegane Ersatzprodukte dagegen hält er wegen der «vielen Zusatzstoffe» für «totalen Blödsinn». Allerdings seien die Grillen mehr ein Snack als eine Mahlzeit.

Doch Blautzik hat weitere Pläne: Das Rezept für eine Insektenbratwurst stehe bereits, sie solle noch in diesem Jahr auf den Markt kommen - und Freunde des Grillens neugierig machen. Auch Insektennudeln seien geplant, Insektenchips habe er bereits im Shop. Denn er ist sicher: Sind die Insekten erst einmal so zubereitet, dass man sie nicht mehr erkennt, dann ist es für viele Menschen leichter, sie zu essen.

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