Zugunglück in Griechenland: Versagen auf ganzer Strecke
Beim Zugunglück in Griechenland starben 57 Menschen. Noch immer ist der Schock gross – genauso wie die Empörung der Griechen.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Empörung nach dem schweren Zugunglück ist in Griechenland nach wie vor gross.
- Immer mehr Details kommen ans Licht und offenbaren ein Versagen auf ganzer Linie.
Eine gänzlich schwarze Titelseite mit Dutzenden von brennenden Kerzen – die Sonntagsausgabe der griechischen Tageszeitung «Kathimerini» kommt ohne Worte aus, weil die Umstände einfach sprachlos machen.
Nach dem schweren Zugunglück vergangene Woche herrscht in Griechenland neben Trauer zunehmend auch Empörung. Immer mehr Details, die zu dem Frontalzusammenstoss eines Personen- mit einem Güterzug und zu mindestens 57 Todesopfern führten, kommen ans Licht – und offenbaren Versagen auf ganzer Strecke.
Allein schon der Werdegang des Bahnhofsvorstehers, der den entscheidenden Fehler machte und den Personenzug auf die falschen Gleise schickte, wirft unzählige Fragen auf.
Bahnhofsvorsteher noch in Ausbildung
Der Mann, der im Laufe des Sonntags erneut befragt werden soll, ist 59 Jahre alt – und hatte erst im vergangenen Jahr seine Ausbildung als Bahnhofsvorsteher begonnen, obwohl die Altersgrenze für die Ausbildung bei 42 Jahren liegt, wie griechische Medien berichten. Zuvor arbeitete er als Gepäckträger sowie als Bote im Kulturministerium.
Der Mann hätte also gar nicht erst ausgebildet werden dürfen und war Berichten zufolge völlig überfordert. Auch sass er tagelang ohne einen erfahreneren Kollegen auf dem wichtigen Posten am Bahnhof der Stadt Larisa. Nachdem er den Zug auf die falschen Gleise geschickt hatte, soll er elektronische Hinweise und auch Nachfragen sowohl von einem der betroffenen Lokführer als auch einem Bahnhofsvorsteher an einem der nächsten Bahnhöfe ignoriert haben, berichtet die «Kathimerini». Minutenlang seien die Züge deshalb ungehindert aufeinander zugerast, bevor es zu dem fatalen Frontalzusammenstoss kam.
Auch Politik schuld
Längst sitzt der 59-Jährige in Untersuchungshaft, er ist unter anderem wegen fahrlässigen Totschlags und fahrlässiger Körperverletzung angeklagt. Doch so schwer die mutmasslichen Fehler des Mannes wiegen, allein «menschliches Versagen» als Grund für die Tragödie anzugeben, greift zu kurz, finden die Menschen.
Unbestritten ist, dass sämtliche Regierungen der vergangenen 20 Jahre die griechische Bahn sträflich vernachlässigten. Dass das elektronische Leitsystem und andere Sicherheitsvorkehrungen nicht oder nur zum Teil funktionierten.
Dass die Eisenbahner sich wiederholt bitter darüber beklagt und Änderungen gefordert hatten – nicht nur beim staatlichen Bahnunternehmen OSE, sondern auch beim Verkehrsministerium. Am Sonntag entschuldigte sich Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis dafür in sozialen Medien umfangreich.
«Als Ministerpräsident schulde ich allen, vor allem aber den Angehörigen der Opfer, eine grosse Entschuldigung – sowohl persönlich als auch im Namen all derer, die das Land jahrelang regiert haben», schrieb Mitsotakis und gestand ein: «Wir können, wollen und dürfen uns nicht hinter menschlichem Versagen verstecken.» Der Unfall wäre praktisch unmöglich gewesen, hätte die Elektronik funktioniert.
In seinem Post gelobte Mitsotakis Besserung und versprach die Reparatur des elektronischen Leitsystems, einen Sonderausschuss zu den Versäumnissen der letzten 20 Jahre sowie neue Züge. Die Menschen beruhigt das vorerst nicht: Am Sonntagvormittag versammelten sich erneut Hunderte am zentralen Athener Syntagmaplatz vor dem Parlament, um gegen die Zustände zu protestieren.