In der Corona-Pandemie sind Einschätzungen von Fachleuten in Medien und Online-Netzwerken an der Tagesordnung. Für einige von ihnen hat das sehr ernste Folgen, wie eine Umfrage zeigt.
Coronavirus
Schweizer Forscher werden sich noch lange mit dem Coronavirus und der Pandemie beschäftigen. (Symbolbild) - pixabay

Ärztinnen und Virologen vor der Kamera und Epidemiologen, die auf Twitter Studien kommentieren: In der Pandemie ist das alltäglich geworden.

Eine Umfrage der Fachzeitschrift «Nature» unter mehr als 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus mehreren Ländern wirft nun ein Schlaglicht auf die oft negativen Reaktionen, die ein Teil von ihnen wegen der Präsenz in der Öffentlichkeit erfahren hat. Es geht nicht nur um Hassbotschaften, sondern auch um Morddrohungen und seltener sogar körperliche Angriffe.

Vorweg: Es handelt sich nicht um eine wissenschaftlich begleitete, repräsentative Umfrage. Das Ausmass des Problems lässt sich damit nicht exakt bemessen. Die Zeitschrift «Nature» versandte Fragebögen an Experten und arbeitete dabei in mehreren Ländern mit Einrichtungen zusammen, die unter anderem Wissenschaftler-Statements an Medien verschicken (Science Media Centers). Es beteiligten sich 321 Experten, die mit Medien über die Pandemie gesprochen hatten. Die meisten von ihnen kamen aus Grossbritannien, Deutschland und den USA.

Gut die Hälfte der Befragten gab an, manchmal, in der Regel oder immer nach Medienauftritten Troll-Kommentare oder persönliche Angriffe erlebt zu haben. Die negativen Folgen der medialen Präsenz reichen demnach bis hin zu Morddrohungen in 47 Fällen, sechs Wissenschaftler gaben an, körperlich attackiert worden zu sein. Einzelne berichten auch von aggressiven Mails, gehackten Accounts oder Webseiten und Beschwerden an den Arbeitgeber.

In einem «Nature»-Artikel mit Fallbeispielen werden Reizthemen deutlich: Der australische Epidemiologe Gideon Meyerowitz-Katz etwa nannte zum einen - erwartbar - Impfungen. Die meisten Drohungen aber habe er überraschenderweise von Menschen bekommen, die das Anti-Wurmmittel Ivermectin als angebliches Präparat gegen Covid-19 verteidigten. «Leute mailen mir anonym von komischen Accounts »Ich hoffe du stirbst« oder »Wenn du in meiner Nähe wärst, würde ich dich erschiessen«», wird Meyerowitz-Katz zitiert. Auch die Frage des Virusursprungs ist laut Bericht ein heisses Eisen.

In der Fachwelt wird befürchtet, dass Hassbotschaften zu Rückzug und Selbstzensur von Expertinnen und Experten führen und deren Kollegen abschrecken könnten, selbst öffentlich aufzutreten. In der Umfrage gaben besonders häufig von persönlichen Angriffen und Troll-Kommentaren Betroffene auch am ehesten an, dass dies ihre Gesprächsbereitschaft mit Medien enorm beeinflusst habe.

Um ein neues Phänomen handelt es sich laut Kommunikationsexperten zwar nicht. «Die Pandemie wirkte jedoch wie ein doppeltes Brennglas. Alle Dynamiken, die wir in der Forschung bereits beschrieben hatten, traten nun in hoher Konzentration und Blitzgeschwindigkeit zutage», erklärte Konstanze Marx von der Universität Greifswald. Sie sehe Handlungsbedarf im «generellen Diskursklima», also auch in Medien und Politik. Gebraucht werde ein Klima der Wissenschaftsfreundlichkeit.

Der Kommunikationswissenschaftler Mike Schäfer von der Universität Zürich betonte, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler öffentlich äussern sollten. Das erwarte auch die Mehrheit der Bevölkerung von ihnen, wie die Wissenschaftsbarometer-Studien in der Schweiz zeigten. «Und wenn sie es tun, dann müssen sie unterstützt werden: emotional, sozial, notfalls sogar juristisch», so der Zürcher Professor.

Die «Nature»-Umfrage war zwar anonym. Der Virologe von der Berliner Charité, Christian Drosten, berichtete aber beispielsweise vor rund einem Jahr bei einem Kongress in Berlin, welche Kehrseiten die Bekanntheit bis in den Alltag hinein hat: Da es ihm «ziemlich unangenehm» sei, beim Einkaufen angestarrt zu werden, gehe er mit Sonnenbrille und Mütze raus, um nicht erkannt zu werden. Zu seinem Umgang mit Hass sagte Drosten damals: «Alles, was ich da machen kann, ist, das möglichst auszuklammern.»

Ein Trost bleibt, wie die Umfrage zeigt: Nach positiven Erfahrungen nach Medienauftritten gefragt, stimmten 83 Prozent der Aussage zu, sie hätten ihre Botschaft an die Öffentlichkeit bringen können.

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