Forscher der Uni Bern gibt Kennedys Reisetagebuch heraus
1937 reiste der junge John F. Kennedy als Student mit einem Freund Lem Billings durch Europa. Dabei erlebten sie das faschistische Italien und Nazi-Deutschland.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Uni Bern überarbeitete die Tagebücher von John F. Kennedy, als er noch Student war.
- Dabei werden die Reisen nach Nazi-Deutschland und ins faschistische Italien beschrieben.
Die handschriftlichen Tagebücher von John F. Kennedy hat der Berner Literaturwissenschaftler Oliver Lubrich transkribiert und in deutscher Sprache herausgegeben.
Die Zeugnisse zeigen, wie Kennedy mit seinem Freund Lem Billings aus Amerika den Faschismus erlebten, schreibt die Universität Bern in einer Mitteilung vom Montag.
Unter dem Titel «Das geheime Tagebuch» erscheinen Aufzeichnungen des jungen John F. Kennedy zum ersten Mal zusammen mit denen seines Freundes Lem Billings. Die beiden Handschriften werden an der Kennedy Presidential Library in Boston aufbewahrt.
Die Manuskripte von Kennedy und Billings verbinden Privates und Politisches: Zwei Freunde unternehmen eine Ferienreise. Sie gehen an den Strand und in Bars, aber auch in Museen und Kathedralen.
Ein Stück Geschichte über das nationalsozialistische Deutschland
In Frankreich besuchen sie die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges. An der spanischen Grenze hören sie die grauenvollen Geschichten der Flüchtlinge des Bürgerkrieges. Sie erleben das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland.
«Die Aufzeichnungen sind besonders aufschlussreich, gerade weil sie ins Unreine geschrieben und nicht mehr nachträglich bearbeitet wurden. Einsicht und Irrtum gehen miteinander einher», sagt Herausgeber Oliver Lubrich.
So lasse sich Kennedy vom oberflächlichen Eindruck öffentlicher Ordnung in Italien noch täuschen, wenn er glaube: «Der Faschismus scheint ihnen gut zu tun.» In Deutschland bemerkt er: «Hitler scheint hier so beliebt zu sein wie Mussolini in Italien, wenngleich Propaganda wohl seine stärkste Waffe ist.»
Und Billings ergänzt: «Man kommt nicht umhin, einen Diktator zu mögen, wenn man in seinem Land ist, da man so viel Gutes über ihn hört und nichts Schlechtes.»
Die Beobachtungen zu charismatischer Führung und zum Einsatz von Medien werden für den späteren Politiker Kennedy nach dem Krieg wichtig werden.
Nach 1937 reiste John F. Kennedy noch zwei weitere Male nach Nazi-Deutschland, wie Oliver Lubrich in seinem Nachwort berichtet: 1939, kurz vor Kriegsbeginn, als sein Vater in London Botschafter war, und 1945, kurz nach Kriegsende, als Reporter während der Potsdamer Konferenz.
Kennedy war kurz vor und nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland
Von allen drei Aufenthalten sprach Kennedy dennoch in der Öffentlichkeit nicht, als er 1963 zum letzten Mal Deutschland besuchte und einer begeisterten Menge in ihrer eigenen Sprache zurief: «Ich bin ein Berliner.»
Auch dieser Satz ist, wie seine Aufzeichnungen nun nahelegen, vor dem Hintergrund seiner frühen Reisen zu verstehen, durch die er das Land unmittelbar und abgründig kennenlernte.
Oliver Lubrich ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik an der Universität Bern. In seinem Forschungsprojekt untersucht und veröffentlicht er die Zeugnisse internationaler Reisender aus dem nationalsozialistischen Deutschland, zu denen zum Beispiel Max Frisch, Virginia Woolf, Albert Camus, Jean Genet und Samuel Beckett zählen.