Riesenkastanien in der Südschweiz leiden unter zu wenig Pflege
Innert zwanzig Jahren hat sich die Gesundheit von zwei Dritteln der Riesenkastanien im Tessin und im Misox verschlechtert. Grund ist mangelnde Pflege. Bei einem Viertel der Bäume blieb der Zustand stabil und nur sieben Prozent zeigten sich gesünder.
Das Wichtigste in Kürze
- Das geht aus einer am Dienstag veröffentlichten Untersuchung von Caterina Beffa an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) hervor.
Sie verglich die Befunde mit einer Erhebung des WSL-Forschers Patrik Krebs aus den 2000-er Jahren. Krebs hatte mehr als 300 der majestätischen Bäume untersucht.
Für die Vergleichsstudie nach zwanzig Jahren nahm sich Beffa 101 der von Krebs untersuchten Bäume vor. Die Studie erbrachte, dass 67 Prozent der Bäume kränker waren, 26 Prozent zeigten einen gleich bleibenden Gesundheitszustand und sieben Prozent waren gesünder. Fast ein Fünftel oder 19 der erneut untersuchten Bäume waren abgestorben, meistens wegen Mängeln in der Struktur.
Damit zeigt sich gemäss der Studie, wie wichtig die Bewirtschaftung der Kastanienhaine, der sogenannten Kastanienselven, ist. Die mangelnde Pflege ist damit eine Hauptursache für die Zusammenbrüche. Ältere Bäume leiden unter der Konkurrenz der jüngeren und verlieren an Vitalität. Weil sie nicht geschnitten werden, habe sie oft zu hohe und unausgewogene Kronen, die unter der Kraft des Windes oder der Schneelast leicht zusammenbrechen.
Damit erhöhen Rückschnitte von Ästen und das Ausmerzen von Konkurrenzbäumen positive Auswirkungen auf das Überleben der Riesen. Schnitte können zudem die Vitalität des Baumes stärken.
Vor allem Kastanien an Hängen oder fernab von Dörfern sind oft vernachlässigt. Gemäss der WSL-Forscherin Beffa ist es wichtig, für die landschaftstypischen Bäume frühzeitig etwas zu tun, da spätere Eingriffe kostspielig sind. Die Pflege der Kastanien dürfe nicht aufgegeben werden, damit das kulturelle Erbe erhalten bleibt und die Artenvielfalt gefördert wird.
Kastanienbäume sind ein fester Bestandteil der Kultur und Landschaft in der Südschweiz. Die Bäume können bis zu 500 Jahre alt werden und einen Stammdurchmesser von über drei Metern erreichen.
Stand 2021 gab es im Tessin und in Graubünden 450 Hektaren bewirtschaftete Kastanienselven. Um 1750 hatten diese Kulturen im Tessin mit über 10'000 Hektaren ihre grösste Ausdehnung erreicht.
Edelkastanien waren in der Südschweiz der «Brotbaum». Wie in anderen Bergregionen Südeuropas waren sie vom Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts das Hauptnahrungsmittel der Landbevölkerung. Sie sind anspruchsloser als andere Kulturen, etwa Weizen.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Selven in der Südschweiz vollständig vernachlässigt. Durch ihren Zerfall drohte der Verlust des Erbguts von über 50 noch vorhandenen Edelkastaniensorten. Die Haine bieten zudem insbesondere Arten, die offene und lichte Wälder benötigen und vom Aussterben bedroht sind, einen Lebensraum.
Die Pflege der Edel- oder Esskastanie als Obstbaum in den Selven hat in der Südschweiz seit über 1000 Jahren Tradition. Die stärkereichen Nüsse finden in vielen lokalen Spezialitäten Verwendung. Die weit verbreitete Rosskastanie ist mit den Marroni oder auch Maronen genannten Edelkastanien nicht verwandt.