Türkei: Wahlen in Istanbul – ist es der Anfang vom Ende für Erdogan?
Das Wichtigste in Kürze
- Mit 780'000 Stimmen Vorsprung gewinnt Ekrem Imamoglu die Bürgermeisterwahl in Istanbul.
- Für die Regierungspartei kommt das Resultat einer Zäsur gleich.
- Der Rückhalt des Präsidenten im Land wird immer geringer.
«Niemand hat das Recht, sich mit 14'000 Stimmen mehr zum Sieger zu erklären.» Dies sagte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Ende März. Damals hatte Ekrem Imamoglu von der Mitte-links-Partei CHP die Bürgermeisterwahl von Istanbul in der Türkei gewonnen.
Erdogans AKP verlangte die Annullierung der Wahl – wegen Regelwidrigkeiten. Später entschiede die türkische Wahlbehörde YSK zugunsten der AKP.
Am Sonntag fand nun die Wiederholungswahl statt – mit einer faustdicken Überraschung für Erdogan. Imamoglu gewinnt mit rund 54 Prozent der Stimmen ziemlich deutlich. Erdogans Kandidat, der ehemalige Ministerpräsident Binali Yildirim, macht 780'000 Stimmen weniger.
Yildirim gestand die Niederlage schnell ein und selbst Erdogan gratulierte am Sonntagabend Imamoglu: «Der nationale Wille hat sich heute einmal mehr gezeigt.»
«Kein Sieg, sondern Neuanfang»
Vor Journalisten und Anhängern verkündete der zum zweiten Male gewählte Bürgermeister Istanbuls: «Das ist kein Sieg, sondern ein Neuanfang.» Die Istanbuler hätten den «Ruf der Demokratie verteidigt».
Wie bedeutend die Wahl für die Stadt war, zeigte sich darauf in den Strassen der Metropole. Tausende versammelten sich zu spontanen Festen. Videos von Autokorsos uns Strassentänzen machten in den sozialen Medien die Runde.
Ist es der Anfang vom Ende für Erdogan in Istanbul in der Türkei?
Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei, meinte Erdogan noch vor wenigen Monaten. Damit hat der türkische Präsident nicht unrecht: Rund 16 Millionen Menschen leben in der Metropole – dies sind fast 20 Prozent aller Türken. Gemäss Wirtschaftsexperte Mustafa Sönmez macht die Stadt rund ein Drittel des Bruttoinlandproduktes aus. 40 Prozent der Steuereinnahmen des Staates werden in der Metropole generiert.
Und nun ist das Bürgermeisteramt an die CHP verloren. Ein schwerer Schlag für Erdogan ist es allemal. Er ist in Istanbul geboren, begann hier sein politischer Aufstieg und war selbst Oberbürgermeister der Stadt. Nun scheint sein Rückhalt nicht mehr so gross, wie noch bei der Wahl zum Präsidenten vor einem Jahr.
Und eines zeigt das Resultat besonders: Der starke Mann am Bosporus – er ist schlagbar. Doch darf man nicht vergessen: Erdogan selbst sitzt fest im Sattel. Und die nächsten Präsidentschaftswahlen finden erst 2023 statt.
Zudem besitzt die AKP im Istanbuler Stadtrat weiter eine Mehrheit. Für Imamoglu dürfte es daher nicht einfach werden, zu regieren. Darum erstaunt es nicht, dass Imamoglu noch am Wahlabend an Erdogan appellierte: «Ich bin bereit, in Harmonie mit ihnen zusammenzuarbeiten.»
Wird Imamoglu zum Erdogan-Herausforderer?
Anders als die AKP punktete Imamoglu beim Wahlkampf besonders mit Inhalten. Er setzte auf Themen wie Armut, Arbeitslosigkeit und Kinderbetreuung. Zudem hat er dem «System der Verschwendung» in der Stadtverwaltung den Kampf angesagt.
Mit einer neuen, ruhigen und nicht-populistische Art brachte er frischen Wind nach Istanbul. Das haben ihm wohl einige Erdogan-Verdrossene gedankt.
Und auch die schlechte Wirtschaftslage kam Imamoglu zugute. Viele werfen der regierenden AKP vor, für die schlechte Wirtschaftslage des Landes verantwortlich zu sein. Auch einige AKP-Wähler dürften ihre Stimmen dem CHP-Kandidaten gegeben haben.