Beiz-Besucher nennen Kellnerinnen immer noch «Fräulein»
Eigentlich seit knapp 30 Jahren abgeschafft, halten einige noch immer am Begriff «Fräulein» fest. Dabei finden ihn die meisten Frauen «frech».
Das Wichtigste in Kürze
- Vor allem ältere Gäste rufen Kellnerinnen in der Beiz auch heute noch «Fräulein».
- Die meisten finden das «frech» – einige kontern gar, indem sie Gäste «Herrlein» nennen.
- Eine Expertin erklärt, warum der Begriff heute so verpönt ist.
«Fräulein? Fräulein!», ruft ein älterer Mann mit weissen Haaren, Bart und Sonnenbrille in einem Café in Bern. Als die Kellnerin nicht kommt, doppelt er nach: «Fräulein!»
Eine Szene, die sich im Jahr 1965 hätte abspielen können. Tatsächlich hat sich das so an einem warmen Herbstabend dieses Jahr zugetragen.
Die Bezeichnung «Fräulein» für unverheiratete Frauen wurde in der Schweiz vor knapp 30 Jahren abgeschafft. Je nach Region sogar schon 1972 – dennoch halten einige Ältere daran fest.
Kellnerinnen kontern mit «Herrlein»
«Es kommt vor, dass Kellnerinnen so gerufen werden», sagt Elisabeth Fannin von der Gewerkschaft Unia. Allerdings nicht mehr häufig.
«Gegen Diskriminierung darf man sich selbstverständlich wehren. Wir kennen Fälle von Kolleginnen, die die Herrschaft dann konsequent mit Herrlein ansprachen oder den Gast weggeschickt haben», so Fannin. Es empfehle sich aber, mit den Vorgesetzten darüber zu sprechen, wie das im Betrieb gehandhabt werde.
Auch der Branchenverband Gastrosuisse sagt, dass das Servicepersonal «Fräulein»-Rufe kontern dürfe. Wichtig sei, dabei «freundlich» zu bleiben.
Auch Beizer raten zu Konter – aber «freundlich»
Doch warum ist der Begriff so verpönt? «Er wird von den meisten Frauen heute als frech empfunden», sagt Geschlechterforscherin Laura Eigenmann zu Nau.ch.
«Das hat vor allem mit der historischen Verwendung des Wortes zu tun.» Früher seien unverheiratete Frauen so bezeichnet worden, um klarzumachen: «Die gehört noch niemandem, die ist Freiwild.»
Aber auch: «Die ist noch keine richtige Frau, denn sie ist noch keine Ehefrau und Mutter.» Die Frauen hätten es anmassend gefunden, schon in der Anrede stark über ihre Beziehung zu einem Mann definiert zu werden.
«Zudem genossen Frauen in der Gesellschaft in der Regel ein höheres Ansehen und mehr Respekt als ‹Fräuleins›.» Umgekehrt seien verheiratete Frauen von vielen Berufen ausgeschlossen worden. «Auch deshalb wurden arbeitende Frauen oft automatisch als ‹Fräulein› angesprochen.»
«Entschuldigung» statt «Fräulein»
An all das erinnere dieses Wort – und trotzdem nutzen es einige noch. «Wahrscheinlich hat das zum einen mit Gewohnheit zu tun», vermutet Eigenmann. «Möglicherweise denken auch einige Männer, dass sie Frauen damit ein Kompliment machen. ‹Fräulein› wurde ja oft für junge Frauen verwendet.»
Auch möglich: «Dass manche Gäste das Bedürfnis haben, das Servicepersonal damit auf seine dienende Position zu verweisen.»
Das «Fräulein» braucht es aber ohnehin nicht, um das Personal zu rufen – Unia-Sprecherin Fannin sagt: «Sie können Blickkontakt suchen, sich zur Bar begeben, die Hand hochhalten oder ‹Entschuldigen Sie, die Rechnung bitte!› rufen.»