Belästigung: Immer mehr Frauen zeigen Männer an – die Gründe
Immer mehr Frauen reichen Anzeige wegen sexueller Belästigung ein. Experten zufolge zeige dies, dass sie heutzutage ihre Rechte eher wahrnehmen.
Das Wichtigste in Kürze
- Immer häufiger zeigen Frauen Männer wegen sexueller Belästigung an.
- Experten zufolge nehmen Frauen ihre Rechte eher wahr und melden Grenzüberschreitungen.
Sexuelle Belästigung galt lange als Tabuthema, noch immer behalten viele betroffene Frauen die Vorfälle für sich. Doch nun scheint sich ein Wandel abzuzeichnen: Immer mehr Frauen reichen Anzeige ein.
Kriminalitätsexperte Dirk Baier beobachtet eine Zunahme der Anzeigen wegen sexueller Belästigung. «Schweizweit haben die Zahlen von 1058 registrierten Straftaten sexueller Belästigung im Jahr 2015 auf 1435 im 2021 zugenommen», sagt er gegenüber Nau.ch.
Dabei handle es sich um angezeigte Taten. Viele Opfer zeigten ihre Täter aber nicht an. «Nur zwischen fünf und zehn von 100 Belästigungen kommen zur Anzeige», so der Gewaltforscher.
Diese Beobachtung teilt auch Corina Elmer von der Opferhilfe-Beratungsstelle «frauenberatung». «Viele Betroffene zeigen die Gewalttaten nicht an, sei es aus Angst vor den Reaktionen, aus Loyalitätskonflikten oder anderen Gründen.»
Weniger als zehn Prozent aller Straftaten gegen die sexuelle Integrität würden angezeigt. Hinzu käme die tiefe Verurteilungsquote von rund 10 bis 15 Prozent bei Vergewaltigungsdelikten, so komme man auf nur eine Verurteilung bei 100 Sexualdelikten. «Die Chance, bei sexualisierter Gewalt straffrei davonzukommen, ist also zig-fach höher als die Gefahr einer vermeintlichen Falschbeschuldigung.»
«Frauen nehmen Rechte eher wahr»
Belästigungen seien auch vor 20 Jahren als Übergriffe empfunden worden, so Baier. Aber: «Frauen wurden durch gesellschaftliche Machtverhältnisse gezwungen, diese zu dulden. Frauen sind, wenn sie heute eher Anzeige erstatten, nicht sensibler geworden – sie nehmen ihre Rechte eher wahr und melden Grenzüberschreitungen.»
«Eine Grenze bei körperlichen und sexuellen Kontakten ist in jedem Moment zu respektieren», sagt Elmer. «Es gibt genügend Männer, die diese Sensibilität aufbringen und die Verantwortung dafür übernehmen, dass ein Date für beide Seiten positiv verläuft.»
Trotzdem: Dass Männer häufiger übergriffig werden, könne zugleich nicht vollständig ausgeschlossen werden. «Auf Dominanz und Selbstdurchsetzung fokussierende Männlichkeitsbilder sind keineswegs ausgestorben, sondern erhalten durchaus Zuspruch», sagt Gewaltforscher Baier.