Brian K.: Jubeln wäre falsch – Klagen auch
Der notorische Ausraster Brian K. kommt auf freien Fuss. Das sorgt für Emotionen, wo ein klarer Kopf hilfreicher wäre. Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Brian K. kommt auf freien Fuss.
- «Endlich», sagen die einen, «herrjemine» klagen die anderen.
- Doch für Emotionen ist eigentlich kein Platz. Eigentlich. Ein Kommentar.
Auch wenn man sich nicht speziell dafür interessierte in den vergangenen Monaten und Jahren: Am Auf und Ab in der Geschichte des jugendlichen Straftäters Brian alias «Carlos» kam man kaum vorbei. Irgendetwas hat man immer zwangsläufig mitgekriegt und meistens war es irgendwie unschön. Aber keine Angst: Wir wollen das jetzt nicht alles aufwärmen und wiederkäuen und analysieren und besserwissen.
Verständliche Emotionen beim Stichwort «Brian»
Sondern eher einen Schritt zurücktreten. Und es gar nicht sooo genau wissen wollen. Denn sonst landen wir wieder bei Emotionen, die uns die Sicht vernebeln. Wobei auch klar ist: Die Emotionen sind sehr verständlich.
Es ist verständlich, dass man sich aufregt über Gewalttätigkeiten, sture Unverbesserlichkeit, Sesselfurzer-Entscheide mit Kostenfolgen und verharmlosende Beschwichtigungen. Es ist verständlich, dass man sich einzufühlen versucht in die Situation in Einzelhaft, eine verkorkste Jugend, den Frust über vermeintlich ungerechte Entscheide. Und sich aufregt, dass die Justiz nicht auch mal nett sein kann.
Verständlich, aber nicht hilfreich. Denn wer sich bei «Brian» aufregt, wird selbst zum kleinen «Brian», und das brauchen wir nun wirklich nicht auch noch.
Was wollen wir?
Denn Brian und unser emotionaler Umgang mit seinem Fall lehrt uns vor allem, wo die Fallstricke liegen. Zum Beispiel, dass gut gemeinte Hilfsangebote oder Therapien nicht neue Abhängigkeiten schaffen sollten. Dass das aber umgekehrt nicht heisst, dass alles Therapie-Zeugs schlecht und nur die Zuckerbrot-und-Peitsche-Methode tauglich ist.
Wenigstens, wenn die Therapie nicht über Monate Zehntausende von Franken kostet. Denn was wollen wir? Ja, Gerechtigkeit. Chancengleichheit.
Aber auch: Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Weil wir sonst bald übervolle Gefängnisse hätten, voller Insassen, die sich höchstens noch zu Banden zusammenschliessen und gegenseitig bekriegen.
Gut so: Viele Fragen, keine Antworten
Ist die Entlassung Brians aus der Haft ein guter Entscheid? Ich weiss es nicht. Weder bin ich Psychologe noch Jurist. Aber ich gehe davon aus, dass auch das Gericht nicht bei sich gedacht hat: Wir haben eine geniale Lösung gefunden und dank uns kommt jetzt alles gut.
Sondern, hoffe ich zumindest, das Gericht hat gemäss unseren gültigen Gesetzen entschieden. Wenn diese besagen, dass Haft angezeigt ist: Bitte sehr. Wenn diese aber bedeuten, dass solches gegen die Rechte des Angeklagten wäre, dann ist es halt anders.
Und das ist okay so. Gut ist es vielleicht nicht, aber «gut» wäre in so einem verzwickten Fall wohl auch eher unmöglich. Aber okay, «okay» ist eigentlich gut, denn sonst wären unsere Gesetze ja nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben stehen.
Für immer hinter Gitter
Verständlich ist auch der Reflex, lieber auf Nummer sicher gehen zu wollen und mehr Gefängnis für Brian zu fordern. Mehr Freiheit und Sicherheit für alle, weniger Freiheit für Gewalttäter. Doch dieser Weg birgt auch Gefahren – ganz abgesehen davon, dass irgendwann Freiheit und Sicherheit einander ins Gehege kommen.
Man muss nicht totalitäre Staaten bemühen, um Anschauungsbeispiele zu finden. Es genügt auch schon der Blick in die USA. In vielen Bundesstaaten ist das Recht auf einen eigenen Anwalt eingeschränkt. Wer bereits im Gefängnis sitzt, bekommt de facto oft zu spüren, dass einem auch juristische Mittel versagt bleiben.
Denn: Was sollen die noch lange Rekurse und Wiedererwägungsgesuche stellen dürfen? Die wollen ja eh nur Vorteile für sich herausschinden! Das wollen wir aber nicht, schliesslich sind das ja Verbrecher, oder? So oder ähnlich wird argumentiert.
Mit der Folge, dass der Dieb eines 10-Dollar-Werkzeugs lebenslänglich erhält. Zur «Sicherheit», ohne sich dagegen wehren zu können.
Mit der Folge, dass ein frischgebackener Vater für den Übergriff auf eine Frau verurteilt wird und seine Tochter erst Jahrzehnte später wieder sieht. Zur «Sicherheit» wird sein Fall nicht neu aufgerollt – obwohl später DNA-Analysen zeigen, dass er es gar nicht war.
Wollen wir wetten? Ich aber nicht.
Vielleicht kommt jetzt mit Brian alles gut. Vielleicht auch nicht, vielleicht nur mit Rückfällen. Wer weiss das schon. Aber es ist nun mal, wie es ist.
Hier geht es nicht darum, ihm «auch einmal eine Chance geben» zu wollen. Sondern darum, die Verhältnismässigkeit zu wahren. Was übrigens Brian auch guttun würde, aber niemand ist perfekt. Womit der erste Schritt zur Integration in die Gesellschaft ja schon getan wäre.