Bundesgericht rügt Kantonsgericht Baselland – und verrechnet sich
Das höchste Gericht in Lausanne wirft der Baselbieter Justiz zu lange Verfahrensdauer vor, aber macht dabei selbst nicht die beste Falle.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Bundesgericht warf dem Kantonsgericht Baselland eine zu lange Verfahrensdauer vor.
- Dabei irrte sich das Bundesgericht gleich zweimal bei Angaben von Zeitspannen.
Manchmal fällt der Vorwurf auf seinen Urheber zurück. Das ist besonders dann pikant, wenn der Urheber das Schweizerische Bundesgericht ist. Lausanne hat der Baselbieter Justiz im Falle eines IV-Betrugs eine zu lange Verfahrensdauer vorgeworfen, es dabei aber mit der Berechnung ebendieser nicht so genau genommen und selbst noch zu einer Verlängerung beigetragen.
Wahrscheinlich hätte die Öffentlichkeit von der Ungereimtheit gar keine Notiz genommen, hätte sich nicht der Allschwiler EVP-Landrat Werner Hotz nach der Rüge mit einem Vorstoss nach den Gründen für die angeblich lange Verfahrensdauer erkundigt. Die Beantwortung der Interpellation, die für die Landratssitzung vom kommenden Donnerstag traktandiert ist, fördert nun aber Merkwürdiges zutage.
Elf Monate statt zwei Jahre
So rügt das Bundesgericht, dass zwischen dem erstinstanzlichen Urteil gegen einen IV-Betrüger, der vom Strafgericht zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden war, und der schriftlichen Begründung zwei Jahre vergangen seien. Tatsächlich hat das Gericht das Urteil am 15. November 2019 mündlich eröffnet. Und stellte die schriftliche Begründung dem Angeklagten am 13. Oktober 2020 zu. Macht knapp 11 Monate – und nicht zwei Jahre.
Weiter kritisiert das Bundesgericht, dass das erstinstanzliche Verfahren von der Anklageerhebung am 14. März 2018 bis zum Abschluss am 13. Oktober 2020 vier Jahre gedauert habe. Tatsächlich betrug die Verfahrensdauer aber nur zwei Jahre und sieben Monate. Insgesamt dauerte das Verfahren vor beiden Gerichten vier Jahre und sieben Monate – 31 Monate beim Strafgericht und 24 beim Kantonsgericht, das den Angeklagten am 10. Juni 2022 zu einer geringeren Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt hat.
Umfangreiche Strafuntersuchung
Als Gründe für die gleichwohl relativ lange Dauer macht die Gerichtsleitung unter anderem Ergänzungen von Gutachten vor und während der Gerichtsverhandlung geltend. Der Angeklagte hatte die Schlussfolgerungen des medizinischen Gutachters in Zweifel gezogen.
Schliesslich stellt das Bundesgericht fest, dass die Verfahrensdauer von insgesamt acht Jahren «zu lang» erscheine. Ob dem so sei oder nicht, bezeichnet die Gerichtsleitung als «Wertungsfrage». Sie macht aber klar, dass gegen vier Jahre auf das Vorverfahren entfallen. Und dieses bestand aus einer sehr umfangreichen Strafuntersuchung. Es handelte sich um einen langjährigen Sozialhilfebetrug mit einer hohen Deliktsumme. Der Aktenberg wuchs auf 28 Bundesordner an.
Auch das Bundesgericht braucht lange
Allerdings trug auch das Bundesgericht nicht zur Beschleunigung der Angelegenheit bei. Ohne dass in Lausanne eine Parteiverhandlung hätte organisiert und durchgeführt werden müssen und ohne dass es weiterer Beweiserhebungen bedurft hätte, dauerte das Verfahren hier 15 Monate. Mit dem Resultat, dass das Urteil zur Neubemessung der Strafe ans Kantonsgericht zurückgewiesen wurde, weil laut Bundesgericht ein Verstoss gegen das Beschleunigungsgebot vorliegt, der eine Reduktion des Strafmasses zur Folge haben müsse.
Die Baselbieter Justiz will sich zur Angelegenheit nicht materiell äussern. Namens der Gerichtsleitung erklärt Gerichtsverwalter Martin Leber gegenüber «OnlineReports» lediglich, die Antwort auf die Interpellation sei diesbezüglich umfassend und abschliessend. Und der zuständige Gerichtsschreiber am Kantonsgericht berief sich auf den Umstand, dass es sich um ein laufendes Verfahren handle.
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Hinweis: Dieser Artikel von Thomas Gubler wurde zuerst im Basler Newsportal «OnlineReports» publiziert.