Coronavirus: Epidemiologe rechtfertigt Kritik an Drosten-Studie
Nach Kritik an einer Studie zum Coronavirus des deutschen Virologen wehrt sich Christian Drosten: Die Bild-Zeitung habe Interviewpartner in die Irre geführt.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Artikel der «Bild»-Zeitung erhob gestern Montag schwere Vorwürfe gegen Drosten.
- Der deutsche Star-Virologe hätte in der Corona-Forschung fragwürdige Methoden verwendet.
- Epidemiologe Leonhard Held unterstreicht seine Kritik, widerspricht jedoch der «Bild».
Christian Drosten steht in der Kritik: Der Star-Virologe von der Berliner Charité ist in Deutschland ähnlich präsent wie Daniel Koch vom BAG in der Schweiz. In einem Artikel der «Bild»-Zeitung von gestern Montag wird der Mediziner nun heftig angegriffen: Er habe mit seiner wichtigsten Studie zum Coronavirus komplett daneben gelegen.
Die Studie von Ende April beschäftigte sich mit der Ansteckungsgefahr, die von Kindern ausgeht. Wie viel Wahres ist an der Kritik? Nau.ch lässt beide Seiten zu Wort kommen.
Virologie: Christian Drosten wehrt sich
Auf eine Anfrage der «Bild» reagierte Christian Drosten zuerst nur indirekt: Auf Twitter erklärte Drosten, er habe sich bereits zu einem früheren Zeitpunkt geäussert:
Ich habe mich bereits detailliert im Podcast dazu geäußert. Dort und im eigentlich Manuskript gibt es eine ausführliche Diskussion der Limitationen unserer Studie. Die Aussage ist robust. https://t.co/LT5PQ5NiBD
— Christian Drosten (@c_drosten) May 25, 2020
Tatsächlich hat Drosten im Coronavirus-Podcast des «NDR» vom 30. April über die fragwürdige Studie berichtet. Im Gespräch gestand der Virologe bereits damals die schwierige Datenlage ein: «Das ist sicherlich nicht die normale Art von Studie, um die Frage nach Übertragung von und durch Kinder zu beantworten.»
Wissenschaftler sehen sich aktuell mit einer schwierigen Datenlage konfrontiert: Bei Kindern werden besonders wenig Tests zum Coronavirus durchgeführt, da viele Kinder kaum Symptome zeigen. Unter 60'000 untersuchten Corona-Tests der Charité gab es nur 127 positiv getestete Personen unter 21 Jahren.
«Es ist ein bisschen aus der Not geboren», gesteht Drosten gegenüber dem NDR ein. Drosten sieht dennoch «glasklare» Schlussfolgerungen: «Wir können in Kindergruppen nicht nachweisen, dass sie gegenüber Erwachsenen unterschiedliche Viruskonzentrationen in den Atemwegen haben.»
Studie zum Coronavirus: «Vorsichtig mit Daten umgehen»
Drosten betont, dass seine Studie keine abschliessenden Ergebnisse liefert: «Man muss da einfach mit den eigenen Daten wirklich sehr vorsichtig und sehr kritisch umgehen.» Die Studie präsentiere die Ergebnisse entsprechend vorsichtig, so Drosten: Der letzte Satz lautet «Kinder könnten so infektiös sein wie erwachsene.»
Sind Kinder mit milden Symptomen des Coronavirus nun genauso ansteckend wie erwachsene, oder nicht? Drostens Studie liefert uns diesbezüglich keine exakten Ergebnisse, so viel ist klar. Doch genügt dies, um die Studie als «grob falsch» zu bezeichnen?
Nein, findet Leonhard Held, Epidemiologe an der Universität Zürich. «Die Bezeichnung der «Bild», dass die Studie ‹grob falsch› sei, stimmt so nicht.» Held selbst hatte vor zwei Wochen Kritik an der Studie geübt. Mit der Aussage der «Bild» könne er sich jedoch nicht identifizieren.
Autoren verwendeten unpassende Methoden
Gegenüber Nau.ch führt er aus: «Die Studie von Herrn Drosten und seinem Team sah ich mir im Auftrag der Taskforce «Covid-19» an. Die hat mich im Zusammenhang mit den bevorstehenden Schulöffnungen um ein Gutachten zu den statistischen Aspekten gebeten.»
«Die Autoren dieser Studie haben weniger geeignete Methoden zur Analyse der Daten angewendet. Die gesammelten Daten wurden in Gruppen eingeteilt, was nicht ideal war. Hier hätte man die Daten besser individuell analysieren sollen.», erklärt Held seine Kritik.
Wenn man die Daten mit anderen Methoden analysiere, so würde man ebenfalls auf ein anderes Ergebnis kommen. Dann wäre klar, dass ein Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen bestehe, was die Ansteckung mit dem Coronavirus angehe. «Auch andere Forscher haben diesen Fehler bemerkt. Es gibt eine deutliche Evidenz für einen Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen in der Viruslast.»
Kritik berechtigt, aber nicht in diesem Ton
Held betont nochmals seine persönliche Kritik an der Studie: «Wie ich bereits klar gesagt habe: Die Studie ist nicht endgültig, man kann auch auf andere Schlussfolgerungen stossen.»
Im «NDR»-Podcast von heute Dienstag reagierte Drosten schliesslich doch noch direkt auf die Anschuldigungen: Alle vier Wissenschaftler, welche die Bildzeitung zitiert, hätten sich mittlerweile klar von den Aussagen des Artikels distanziert.
Die Kritik auf wissenschaftlicher Ebene sei durchaus legitim, gesteht Drosten ein. Es habe sich nur um einen «pre-print» gehandelt, also ein wissenschaftliches Paper, welches noch keinen wissenschaftlichen Begutachtungsprozess durchlaufen hat. «Was hier gerade in der Öffentlichkeit passiert, ist völlig irreführend.»