Coronavirus: Hier droht ab Montag die grösste Gefahr
Der Bundesrat lockert die Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Experten sind überrascht und erklären, wo ab Montag die grössten Gefahren lauern.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Lockerungen des Bundesrats stossen bei den Epidemiologen auf wenig Verständnis.
- Warum gewisse Innenräume ein geringeres Ansteckungsrisiko bergen sollten, sei nicht klar.
- Der Effekt der Impfung sei noch nicht gross genug, um wieder sorglos ins Kino zu gehen.
Der Bundesrat beschloss diese Woche trotz unsicherer epidemiologischer Lage beim Coronavirus weitreichendere Lockerungen als erwartet. Während die Öffnung der Restaurantterassen erwartet worden war, dürfen ab Montag auch gewisse Innenräume wieder öffnen, darunter Fitnesscenter.
Coronavirus: Eine politische Entscheidung
Huldrych Günthard, Infektiologe am Unispital Zürich und Thomas van Boeckel, ETH-Professor und Task Force-Mitglied, finden nicht, dass die epidemiologische Lage derart weitreichende Öffnungen rechtfertigt. «In dieser Situation zu lockern macht epidemiologisch keinen Sinn», sagt Günthard. «Ich denke, man hätte weiterfahren können mit den jetzigen Massnahmen.»
Auch van Boeckel ist vor allem von der Grösse des Schritts überrascht. «Das ist eine politische Entscheidung, keine wissenschaftliche», so der Professor. Neben den Infektionszahlen seien auch andere Faktoren wie geistige Gesundheit, Bewegungsfreiheit oder der Spital-Rückstau eingeflossen.
Experten analysieren einzelne Massnahmen
Aussenterrassen: Auch wenn er grundsätzlich keine Lockerung befürwortet hätte, sieht Günthard bei den Aussenterrassen noch am wenigsten Gefahr. «Unter Einhaltung der Schutzkonzepte sind sie wahrscheinlich am wenigsten relevant». Zentral ist hier, dass sie draussen sind.
Veranstaltungen: Gleiches gilt bei der Aufhebung des Veranstaltungsverbots. Auch mit nur einem Drittel der Kapazität bleiben Veranstaltungen insbesondere drinnen ein Risiko. «Dass man in geschlossenen Räumen mehr Aktivitäten erlaubt, ist sehr überraschend», findet van Boeckel.
Fitnesscenter: Nicht erklären können sich die beiden vor allem, warum gewisse Innenräume (Fitnesscenter, Freizeit- und Kulturbetriebe) öffnen dürfen, aber andere (Restaurants, Clubs, Bäder) nicht.
«Das ist eine gute Frage» findet van Boeckel. Eine wissenschaftliche Begründung für diese Unterscheidung gab es an der Pressekonferenz nicht. Der Bundesrat sprach bei den erwähnten Innenräumen von einem «kalkulierten Risiko». Das Task Force-Mitglied will aber klarstellen, dass er in keinerlei derartiger Berechnung involviert gewesen sei.
Kinos: Auch Günthard kann keinen grossen Unterschied betreffend Ansteckungsrisiko mit dem Coronavirus zwischen einem Restaurant und einem Kino finden. Aktivitäten in Innenräumen seien einfach besonders risikoreich, unterstreicht der Infektiologe.
Präsenzunterricht an Hochschulen: ETH-Professor van Boeckel schmerzte es zwar ganz besonders, seine Studenten leiden zu sehen, weil sie nicht an die Uni konnten. Aber: Auch das ist eine Aktivität in einem Inneraum. «Jeder sieht Menschen in seinem Umfeld auf die eine oder andere Art von dem Coronavirus betroffen». Schlussendlich müsse mit Übersicht entschieden werden.
Experten beunruhigt ab Lockerungs-Turbo
Wie Kollege Christian Althaus beunruhigt van Boeckel vor allem die Erhöhung des Tempos, mit der gelockert wird. «Wie auch unsere Nachbarländer war der Bundesrat in den vergangen Wochen das Coronavirus vorsichtig Schritt für Schritt angegangen. Ich hoffe die neusten Lockerungen sind nicht zu früh, ansonsten riskieren wir wieder härtere Massnahmen. Und das will wirklich niemand.»
Sorgen bereitet van Boeckel dabei vor allem die Belegung der Intensivstationen. Für die Task Force hat er dieses Thema während der Pandemie eng begleitet. Die Belegung steigt aktuell wieder. «Das macht mir Angst», so der Experte.
«Das letzte Mal im Herbst, als das der Fall war, hat die Wissenschaft gewarnt, aber die Reaktion war langsam. Das Resultat war eine eher schlimme zweite Welle.» Die Frage sei, ob die Schweiz jetzt schnell genug impfe, um die Lockerungs-Effekte auszugleichen.
Huldrych Günthard glaubt das nicht. «Der Effekt der Impfung ist leider noch zu gering, um einen grösseren Anstieg deutlich zu verzögern», so der Infektiologe. Man hätte nur noch ein paar Wochen durchhalten müssen.
Also noch kein Gang ins Kino für die Experten? Nein, sagt Thomas van Boeckel. «Auch wenn ich das sehr geniessen würde, werde ich noch nicht gehen. Lasst uns nicht mit dem Feuer spielen, jetzt, wo wir näher als je zuvor am Ende der Pandemie sind.»