Coronavirus: St. Galler Chefarzt spricht sich für Durchseuchung aus

Miguel Pereiro
Miguel Pereiro

Bern,

Der St. Galler Chefarzt Pietro Vernazza spricht sich für eine differenzierte Durchseuchung von jungen Menschen mit dem Coronavirus in der Schweiz aus.

Pietro Vernazza
Pietro Vernazza empfiehlt Corona-Massnahmen mit Ziel. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Chefarzt Pietro Vernazza spricht sich für eine differenzierte Durchseuchung aus.
  • Die Strategie des Bundesrats hält er für ambitiös, da sie nur mit einer Impfung aufgehe.

Die Strategie des Bundesrats zu verhindern, dass sich das Coronavirus in der Schweiz einnistet, sei ambitiös. Pietro Vernazza, Infektiologe, Professor und Chefarzt am Spital St. Gallen spricht sich im Interview mit dem «Tagesanzeiger» für eine differenzierte Durchseuchung der Bevölkerung aus.

Dabei soll vorwiegend die junge Bevölkerung dem Virus ausgesetzt werden. Ältere Menschen sollen hingegen besser Möglichkeiten erhalten, um sich vor dem Coronavirus zu schützen.

Coronavirus
Coronaviren (gelb) unter dem Rasterelektronenmikroskop - National Institutes of Health/AFP

Coronaviren seien weltweit unter den Menschen verbreitet – sie verschwinden nicht einfach. «Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass es mit dem neuen Coronavirus anders sein wird.» Wir müssten nun lernen, damit zu leben.

Bundesrat hat richtig reagiert – muss nun aber über die Bücher

Der Bundesrat habe zu Beginn der Verbreitung des Coronavirus in der Schweiz richtig reagiert. Es sei wichtig gewesen mit diversen Massnahmen eine Überlastung der Spitäler zu verhindern. Doch die Lage habe sich verändert, das Wissen über die Krankheit habe zugenommen. «Das Virus scheint weniger gefährlich als gemeinhin vermutet.»

Vernazza verweist auf Studien aus dem Tesssin die zeigten, dass rund zehnmal mehr Menschen angesteckt als positiv getestet wurden. Man könne also auf eine Sterblichkeitsrate von rund einem Promille schliessen, nicht wie zu Beginn angenommen einem Prozent. Diese Rate sei vergleichbar mit der einer saisonalen Grippe.

Kreuzimmunität mit anderen Coronaviren

Ausserdem habe man seit zwei Monaten das Phänomen der Kreuzimmunität beobachten können. «Menschen, die gegen andere Coronaviren eine Immunantwort entwickelt haben, erkranken milde oder gar nicht an Covid-19.» Das könnte beim weiteren Verlauf der Pandemie eine wichtige Rolle spielen.

Die «ambitiöse Strategie» des Bundesrates gehe davon aus, dass irgendwann eine Impfung zur Verfügung stehen werden. Vernazza sieht dabei zwei Problem: Ob und wann es eine solche Impfung geben werde, könne man derzeit nicht wissen. Ausserdem müsste dann die breite Bevölkerung auch gewillt sein, sich impfen zu lassen.

Coronavirus
In Deutschland werden nur noch Personen über 60 Jahre mit dem Astrazeneca-Stoff geimpft. (Symbolbild) - Keystone

Mit der jetzigen Strategie gebe man monatlich allein für die Quarantänemassnahmen zweistellige Millionenbeträge aus. «Wenn wir in ein bis zwei Jahren keinen Impfstoff haben, haben wir Milliarden ausgegeben und das Problem trotzdem nicht gelöst.»

Auf den Ansatz der Schweden angesprochen antwortet Vernazza: «Die Schweden haben nichts falsch gemacht.» Die Kritik komme vorwiegend von Menschen, die ihr eigenes Modell verteidigen müssten. Wer es richtig gemacht habe, könne man erst sagen wenn die Bevölkerung immun sei, mit oder ohne Impfung.

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