Coronavirus: Wie helfen wir der Jugend aus dem Loch?
Alle wünschen sich ein Ende der Pandemie. Besonders Jugendliche ertragen den Frust wegen des Coronavirus immer weniger. Ein Experte erklärt, was helfen kann.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Verständnis für die Corona-Massnahmen bei Jugendlichen sinkt.
- So häuften sich zuletzt Ausschreitungen wie jene in St.Gallen vom vergangenen Wochenende.
- Jugendpsychologe Karl Brühwiler erklärt, wie man Jungen aus dem Corona-Loch helfen kann.
Fensterscheiben zerspringen, Molotow-Cocktails fliegen durch die Lüfte, Schreie sind zu hören. Dies sind Szenen aus St.Gallen vom vergangenen Osterwochenende. Beteiligt an den Demonstrationen waren allen voran viele Jugendliche.
Um die Ausschreitungen im Zaum zu halten, stand die Polizei mit einem Grossaufgebot im Einsatz. Doch nicht nur in der Schweiz kocht die Stimmung hoch. Auch im Ausland häufen sich Proteste, die häufig mit Ausschreitungen enden. Die Jugend, so scheint es, hat genug von der Pandemie um das Coronavirus.
Frust wegen Coronavirus entlädt sich mit einem lauten Knall
Seit über einem Jahr müssen sie sich wegen des Coronavirus an die strikten Massnahmen halten. Kein Kino, keine Partys, keine Festivals, keine grossen Treffen mit Freunden. Viele klagen über depressive Verstimmungen.
Zwar meistern viele Jugendlichen die Einschränkungen vorbildlich. Trotzdem erstaunt es Jugendpsychologe Karl Brühwiler nicht, dass sich ein Teil dieses Frusts in grossen Protesten entlädt.
Brühwiler ist der leitende Psychologe im Schul- und Berufsbildungsheim Albisbrunn ZH. «Es ist nichts Neues, dass sich Jugendliche an Ausschreitungen beteiligen. Rebellion und Sensation-Seeking können zum Jugendalter dazugehören. Das Ausmass und die Koordination der Gewalt überrascht jedoch».
«Wie ein Ventil»
Der Psychologe ortet den Frust der Jugend unter anderem darin, dass natürliche entwicklungsrelevante Bedürfnisse nicht ausgelebt werden können. Zum Beispiel sich mit anderen Jugendlichen zu treffen und Freizeitveranstaltungen zu besuchen. Dem Coronavirus sind etliche Events zum Opfer gefallen.
«Die Ausschreitungen wirken vom Ausmass her wie eine exzessive Kompensation der gegenwärtig nicht auslebbaren Bedürfnisse der Jugendlichen. Wie ein Ventil, für all den Frust, der sich aufgestaut hat. Und der aufgebaute Druck führt viele Jugendliche zu einem solchen Ventil», erklärt Brühwiler.
Wie kann man der Jugend aus diesem «Corona-Loch» helfen?
Den Erwachsenen müsse bewusst sein, dass unter anderem Jugendliche besonders unter den Schutzmassnahmen gegen das Coronavirus leiden. Pubertierende Jugendliche seien manchmal unvernünftig, würden Grenzen testen sowie kurzfristig und lustorientiert denken. Und das stehe in einem Spannungsfeld zu den aktuellen Schutzregeln.
Die klaren Grenzen des Corona-Schutzkonzepts beruhen auf Wissenschaftlichkeit, Vernunft und Solidarität. «Sie ähneln aus Sicht der Jugendlichen einem elterlichen ‹es ist so, weil es so ist und basta!›. Erwachsene können damit im Durchschnitt recht gut umgehen.» Für Jugendliche sei dies weitaus schwieriger und hier brauche es viel Dialog und Übersetzungsarbeit.
Ein weiterer Punkt sind gemäss Brühwiler die unterschiedlichen Meinungsbilder innerhalb der Krise des Coronavirus.
Diese entstehen aus «dem Mix aus Facts, Aussagen von selbsternannten Experten und Verschwörungstheorien». Diese Informationsflut bewältigen Jugendliche anders als Erwachsene.
Hier könnten Eltern und Jugendliche zusammen lernen, Informationskanäle zu selektieren und Informationen zu bewerten. Sie dann in ihre Meinungen zu integrieren und diese Meinung stark und differenziert zu vertreten.
Eltern können helfen, die lähmende Langeweile zu durchbrechen
Eltern könnten Jugendliche auch darin unterstützen, die lähmende Langeweile zu durchbrechen und sinnvollen Tätigkeiten nachzugehen: «Im Normalfall ist Langeweile der Nährboden für Kreativität. Dies bedingt aber das Vorhandensein von Möglichkeiten, diese Kreativität auszuleben. Beim Finden und Erstellen dieser Möglichkeiten, können Eltern helfen!», erläutert der Jugendpsychologe.
Wenn Jugendliche zu tief in das Corona-Loch fallen, brauche es die Unterstützung von Eltern, Freunden oder eventuell auch psychologischen Fachpersonen. «Hier ist es wichtig, dass Eltern wachsam sind.»
Könnten Corona-Sonderprivilegien für Jugendliche diesbezüglich helfen? «Um diese Frage zu beantworten, müsste man eine Abwägung machen», so Brühwiler. Eine Abwägung zwischen psychologischem Nutzen für Jugendliche und epidemiologischem Schaden dieser ‹Erleichterungen› für die Gesellschaft.
Sollten Bund und Kantone über gruppenspezifische Lockerungen nachdenken, «wären sicherlich mitunter als Erstes die Bedürfnisse der Kinder/Jugendlichen zu beachten».